: Von der Parlamentsschlägerei zur Krise
■ Indiens Zentralregierung führt Offensive gegen Hindu-Nationalisten
Berlin/Neu-Delhi (taz/AFP) – Ein Provinzkonflikt in Indien weitet sich zur landesweiten Krise aus, in der die Linksregierung von Premierminister Kumar Gujral eine Kraftprobe mit der hindu-nationalistischen BJP-Opposition austrägt. Die Zentralregierung setzte am Dienstag abend die BJP-Landesregierung der Provinz Uttar Pradesh ab und beschloß „Direct Rule“ – die zentrale Direktverwaltung der Provinz. In einem überraschenden Schritt berief Staatspräsident Narayanan daraufhin das Kabinett für gestern zu einer Dringlichkeitssitzung ein, um dies zu widerrufen.
Auslöser der Krise war der Bruch der Koalitionsregierung in Uttar Pradesh, Indiens bevölkerungsreichstem Bundesstaat. Dort regierte seit März in einer eher widernatürlichen Allianz die BJP zusammen mit der BSP, der politischen Vertretung der Dalits (Unberührbaren). Die Koalition brach am Wochenende auseinander, als die BSP der BJP wegen ihrer „Anti-Dalit-Politik“ die Unterstützung entzog. BSP-Führerin Mayawati hatte ein halbes Jahr lang die Koalitionsregierung geführt und das Amt des Ministerpräsidenten am 21.September an BJP-Chef Kalyan Singh abgegeben. Singh hatte danach begonnen, Korruptionsvorwürfe gegen Frau Mayawati zu untersuchen; unter anderem verbot er eine Lotterie, die der BSP beträchtliche Einnahmen gesichert hatte.
Nach dem Bruch der Regierung verlangte BJP-Ministerpräsident Singh eine Vertrauensabstimmung im Landesparlament, die er am Dienstag nach gewaltsamen Auseinanderstezung im Parlament und dem Auszug der Opposition klar gewann. So war es kein Wunder, daß die BJP heftig protestierte, als die Zentralregierung am selben Tag die Auflösung der Uttar-Pradesh-Regierung beschloß und als Grund die Gewaltszenen bei der Vertrauensabstimmung nannte. Der BJP zufolge ging die Gewalt nämlich von Oppositionsabgeordneten aus. Schon am Wochenende hatten BJP-Spitzenpolitiker beschlossen, sich für den Erhalt der Regierung in Uttar Pradesh einzusetzen, die die wichtigste Machtbasis der Partei in Indien darstellt.
Gestern warnte BJP-Chef Lal Advani vor einer Welle der Gewalt, sollte die Auflösung der Uttar-Pradesh-Regierung nicht zurückgenommen werden. Presseberichten zufolge ist das indische Kabinett gespalten. Gegen den Auflösungsbeschluß ist der Innenminister, und er müßte Polizeieinsätze gegen die BJP zur Durchsetzung von „Direct Rule“ leiten. Die Kampfansage an die BJP genießt dagegen die Unterstützung der Kongreßpartei, die die indische Regierung im Parlament toleriert, sowie der Kommunisten. D.J.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen