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Lustloser Wahltag in Algerien

Die Bevölkerung verspricht sich auch von den neuen Gemeinde- und Provinzräten kein Ende der Gewalt im Lande. Daher bleiben viele den Urnen fern. Es sei denn, sie brauchen die Stempel auf der Wahlkarte  ■ Aus Algier Reiner Wandler

Die Malika-Kherchi-Schule im kleinbürgerlichen Kouba, einem Stadtteil im Osten Algiers, dient als Wahlzentrum für die Kommunal- und Provinzwahlen. Mit Kalaschnikows bewaffnete Polizisten bewachen den Eingang. Sie haben nur wenig Arbeit. Hier, wo einst die verbotene Islamische Heilsfront (FIS) gegründet wurde, hat sich bisher kaum jemand dazu durchgerungen, seine Stimme abzugeben. „Zwölf von 606“, lautet die Antwort eines der Wahlhelfer auf die Frage, wie viele der bei ihm eingeschriebenen Männer zwei Stunden nach Öffnung der Lokale bereits ihrem Wahlrecht nachgekommen sind. „Das ist ziemlich wenig“, gibt er unumwunden zu und zuckt die Schultern, als habe er nichts anderes erwartet.

Zwei Türen weiter, vor einem der Klassenzimmer, das den Frauen als Wahllokal dient, stehen fünf Wahlhelferinnen im Kreis und vertreiben sich schwatzend die Langeweile. Bis die Leiterin des Zentrums dem Treiben ein Ende setzt. Sie scheucht ihre Untergebenen hinter die Tische. Ein Seitenblick auf die eingetroffene Gruppe von ausländischen Journalisten erklärt, warum. Wenn schon kaum Publikumsverkehr, dann doch zumindest die Formen wahren.

Nur eine Wählerin scheint es eilig zu haben. „Ich bin nicht auf der Wählerliste, wahrscheinlich weil ich umgezogen bin“, sagt die junge Frau und fragt mit fast schon verzweifelten Unterton um Rat. Sie wird nach unten geschickt, wo ein Beamter hinter einem Computer die Listen des gesamten Stadtteils verwaltet. Der findet sie tatsächlich unter der neuen Adresse und teilt ihr ein Wahlbüro zu. Gleich zweimal geht es an die Urne, die weißen Zettel sind für den Gemeinderat, die blauen für den Provinzrat. Jeder Umschlag in die entsprechende Urne, und es gibt einen Stempel auf die Wahlkarte.

Die Frau geht zufrieden aus dem Wahllokal. „Ich habe bisher immer gewählt, so auch dieses Mal“, sagt sie und zückt zum Beweis noch einmal ihre Wahlkarte. Präsidentschaftswahlen 1995, das Referendum über die neue Verfassung 1996 und die Parlamentswahlen im vergangenen Juni – jeder der verschiedenfarbigen Stempel ist an seinem Ort. Sie war immer da, wenn Präsident und Ex-General Liamine Zéroual einen weiteres Mal für seinen Weg zurück zur Demokratie warb und dort neue gewählte Institutionen aufbauen ließ, wo das Militär die alten nach dem Wahlsieg der FIS 1992 entmachtete. „Wählen ist schließlich eine Staatsbürgerpflicht“, begründet sie ihr Engagement. Nach einer kurzen Pause fügt sie leise, so daß sie die umstehenden Polizisten nicht hören können, hinzu: „So habe ich meine Wahlkarte immer in Ordnung. Denn ein paar Mal, wenn ich irgend etwas auf der Verwaltung beantragt haben, wurde ich nach ihr gefragt.“

In El Harrach, einer 50.000 Einwohner zählenden Stadt im Industriegürtel um die Hauptstadt, sieht es nicht anders aus. Hauptsächlich Alte und Rentner haben bisher gewählt, und das, obwohl das Durchschnittsalter der 15,8 Millionen Wahlberechtigten, die gerufen sind, um die Verwaltung von 1.541 Gemeinden und 48 Provinzen zu bestimmen, bei 29 Jahren liegt. „Jetzt ist das Lokal seit drei Stunden offen, und elf Prozent haben abgestimmt. Wenn wir am Ende des Tages auf 50 Prozent Wahlbeteiligung kämen, wäre das schon gut“, sagt einer der Helfer.

Auch in Les Eucaliptus, zwanzig Kilometer von Algier am Rande des Dreiecks des Todes, wie die Ebene zwischen Hauptstadt und Atlas genannt wird, seit hier die Kommandos der radikalen Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) Angst und Terror verbreiten, tröpfeln die Wähler nur langsam ein. 75 Prozent haben hier 1990 bei den Kommunalwahlen und 1992 bei den Parlamentswahlen FIS gewählt. Seit sie nicht mehr antreten darf, bleiben viele zu Hause. Die Wahlplakate hier wurden alle so schnell wieder abgerissen, wie sie geklebt wurden. Fatalismus und Wahlmüdigkeit haben sich breit gemacht. „Die Leute haben die Hoffnung auf einen Wechsel verloren“, gibt ein 26jähriger Gelegenheitsarbeiter zu bedenken. „Die Gewalt nimmt kein Ende. Und bei den letzten Massakern kam nicht einmal die Armee den Opfern zur Hilfe.“ 1.000 Tote zählt das 100.000-Einwohner-Dorf Les Eucaliptus seit 1992.

Nur einer scheint begeistert von den Wahlen. Der Chef des Wahlzentrums in Les Eucaliptus. 4.000 Dinar (knapp 130 Mark) bekommt er für seinen Einsatz. Im normalen Leben ist er Direktor der Schule, die heute der Stimmabgabe dient, und verdient im Monat gerade einmal 17.000 Dinar. „Von mir aus könnten alle Tage Wahlen sein“, grinst er.

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