Das Kunsthaus Tacheles hat sich selbst erledigt

■ Sieben Jahre Tacheles waren sieben Jahre Lavieren zwischen künstlerischem Anspruch und offizieller Anerkennung. Doch das ging nur, solange kein Investor in Sicht war. Am Ende nur hilflose Radikalität

So sehr das Ende des Tacheles einem Trauerspiel gleichkommt, so sehr glich der Beginn des Kunsthauses einem Paukenschlag. Am 13. Februar 1990 besetzten Künstler aus mehreren Ländern die zur Sprengung vorgesehene Ruine des ehemaligen Passagenkaufhauses in der Oranienburger Straße. Es war die Zeit der Anarchie, der Runden Tische und der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.

Die Anarchie schuf sich im Tacheles eine künstlerische Heimat, der Runde Tisch in Mitte stoppte die Abrißpläne und der Senat gewährte dem neugegründeten Tacheles-Verein zunächst acht, später sogar 45 ABM-Stellen. Das Kunsthaus Tacheles wurde zum staatlich alimentierten Ort für internationale Subkultur.

Vor allem aber wurde das Tacheles-Gelände zum Ort vielfältiger Investorenwünsche. Erste Bebauungspläne für das Areal zwischen Oranienburger-, Friedrich- und Johannisstraße legte der schwedische Skanska-Konzern vor. Im allgemeinen Immobilienwirrwar blieb die Planung freilich in der Schublade liegen. Das Tacheles konzentrierte sich derweil auf die künstlerische Arbeit. Mit Erfolg.

Die Kunstruine entwikkelte sich nicht nur zum internationalen Anlaufpunkt für experimentierfreudige Künstler. Auch das Abgeordnetenhaus sprach sich im Januar 1993 für den dauerhaften Erhalt des Tacheles aus und adelte das Kunsthaus mit einer institutionellen Förderung. Seitdem fehlt das Tacheles, das kurzzeitig sogar als Werbeträger für die Olympiabewerbung herhalten mußte, in keiner Hochglanzbroschüre des Senats. Sogar das Goethe-Institut kürte das Kunsthaus im Ausland zum Berlinischen Exportschlager, Marke Off-Kultur. Nachdem sich 1993 ein saudischer Ölscheich vergeblich um das Areal bemüht hatte, tauchte im gleichen Jahr mit der Kölner Fundus-Gruppe erstmals ein ernstzunehmender Investor auf. Nach anfänglicher Zusammenarbeit, die vom Tacheles sogar als „Pilotprojekt der Zusammenarbeit zwischen Off-Kultur und Hochfinanz“ gelobt wurde, wurde das Verhältnis zwischen Tacheles und Fundus Ende 1995 schwieriger. Ein neuer Vereinsvorstand lehnte vor allem die geplante Bebauung der Freifläche ab.

Fortan verhärteten sich die Fronten. Im März dieses Jahres erklärte Fundus die Verhandlungen für gescheitert. Zuvor hatte sich bereits die Kulturverwaltung vom Tacheles distanziert. Der Grund: Keine künstlerische Innovation mehr in Sicht.

Nachdem das Tacheles eine erste Räumungsfrist von Fundus im April verstreichen ließ, entschied das Landgericht im Oktober, daß das Kunsthaus geräumt werden müsse. Kurze Zeit später setzte die Oberfinanzdirektion als Noch-Eigentümer eine Räumungsfrist: den 29. Oktober.

Vom revolutionären Elan, mit dem die Tacheles-Betreiber noch im vergangenen Jahr gegen die Bebauungspläne von Fundus vorgegangen waren, ist heute nichts mehr übriggeblieben. Radikal zeigen sich die Künstler inzwischen nur noch beim Betteln um Solidarität – nicht etwa bei der subkulturellen Szene der Stadt, sondern beim Bundespräsidenten und anderen prominenten Politikern. Damit hat sich das Tacheles, auch wenn die Räumung noch einmal verschoben werden sollte, wohl von selbst erledigt. Uwe Rada