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„Sollen die mich doch raustragen“

Wenige Tage vor dem Räumungstermin herrscht im Tacheles die bekannte Ruhe vor dem Sturm. Als Waffe im Kampf gegen die Investoren soll nur die Kunst dienen  ■ Von Barbara Bollwahn

Wahre Künstler machen nicht nur Kunst. Wahre Künstler behalten die Nerven, auch wenn die Kacke am Dampfen ist. In Deutschlands bekanntester Ruine dampft die Kacke nicht nur. Sie ist am Brodeln. Am Mittwoch läuft die von der Oberfinanzdirektion gesetzte Räumungsfrist für das Tacheles in der Oranienburger Straße aus. Doch sechs Tage davor ist davon nichts zu merken. Das muß die bekannte Ruhe vor dem Sturm sein.

Ben bastelt in aller Ruhe in der Metallwerkstatt an einem Ufotisch. „Ich kann doch nicht aufhören zu arbeiten und mich in die Ecke setzen“, sagt der Sänger der „Elektronauten“. Vor sieben Jahren lockten ihn die Toleranz und das Kunstverständnis von Hamburg nach Berlin. Jetzt hat er sich schon einmal eine Wohnung in Friedrichshain, der einzigen Alternative zu Mitte, gesucht. Während andere Künstler wertvolle Sachen wie Videorecorder schon in Sicherheit gebracht hätten, sehen er und seine Kollegen Kemal und Norbert mitsamt ihrem Fundus an Neonröhren, Skulpturen und Eisenmöbeln der angedrohten Räumung gelassen entgegen.

„Wir werden eine Party feiern und unseren Wohnsitz kurzfristig hierherverlegen“, sagt Ben. Kemal kann sich auch einen Hungerstreik vor dem Senat vorstellen. Oder vor dem Spanischen Konsulat. „Die sind kunstfreundlicher.“ Doch eigentlich könne es ebenso das kanadische Konsulat sein, sagt er und lacht. Ben schlägt vor, eine Kirche zu besetzen. „So wie Asylanten, die abgeschoben werden.“

Einigkeit herrscht allenthalben darüber, daß der Senat die Künstler nicht einfach rauswerfen könne. „Das ist wie eine neue Bücherverbrennung“, schimpft Kemal. Das Tacheles sei „der lebendigste Ort in Mitte“, eine „autodidaktische Universität“ sozusagen. Bevor das Tacheles dazu verdammt werde „in den Untergrund“ zu gehen, werde man sich einer Räumung zumindest widersetzen. Ein freiwilliger Abgang kommt für die drei nicht in Frage. „Wir haben die Ruine doch nicht gerettet“, sagt Norbert, „damit sich die Fundus-Gruppe jetzt eine große goldene Nase verdient“. Das eigentliche Problem sieht er weniger in den Gerüchten, einige Leute vom Verein hätten die Fronten gewechselt, sondern in dem „jahrtausendealten Neiderspiel“. Es gäbe einfach zu viele Leute, die „wie wir im Mittelpunkt stehen wollen“. Einigkeit gibt es auch darüber, daß es keine Gewalt geben soll. „Wir werden die Polizei nicht mit Eisenstangen erwarten“, betont Norbert. Die Waffe der Künstler ist, oh Wunder, die Kunst selbst. „Wir müssen Kunstaktionen auf die Straße hinaustragen.“

Auch Martin Reiter vom Tacheles e.V. hat nichts mit Gewalt am Hut. „Wenn wir so denken, kaufen die einen Wasserwerfer mehr.“ Er setzt „auf die Bildung“ der Verantwortlichen. Weil die Leute nicht von sich aus gehen würden, müßte „Berlin Gewalt anwenden“.

Doch der 35jährige Apparatekünstler ist sich sicher, „daß sich die Verantwortlichen vor einem Skandal hüten werden“. Überzeugt ist Reiter auch nach wie vor von der Tragfähigkeit des Wirtschaftsmodells, mit den Einnahmen des Café „Zapata“ den nichtkommerziellen Bereich zu finanzieren. Dieses „Quersubventionsprojekt“ lasse man sich nicht vom Investor aus den Händen nehmen. So bleibe im Moment nichts anderes übrig als sich in Arbeit zu stürzen. „Dann verliert man die Nervosität“, sagt er. Termine hat Reiter bis zum Juni 1998 gemacht.

Engagement wird auch von Besuchern und Sympathisanten des Tacheles erwartet. In einer Solidaritätserklärung werden Freunde und Kollegen aufgefordert, bei „Entscheidungsträgern“ wie dem Bundeskanzler, dem Bundespräsidenten, dem Bundesfinanzminister, dem Regierenden Bürgermeister und dem Investor per Fax gegen eine Räumung zu protestieren.

Ein Appell, der für den holländischen Künstler Munne zu spät kommt. Der 38jährige, der die großen schwarzen Tacheles-Buchstaben an der Frontseite gebastelt hat, ist enttäuscht von der „kulturellen Ignoranz“ in Berlin. „In Holland wäre so etwas nicht möglich“, ist er überzeugt. Munne wartet in Ruhe ab, was passiert: „Sollen die mich doch raustragen.“ Die „Gemeinheit“ hinter dem unterschriftsreifen Vertrag zwischen der Oberfinanzdirektion und der Fundus- Gruppe offenbart sich für ihn darin, daß das knapp 9.000 Quadratmeter große Gelände aufgrund der Unklarheit über die zukünftige Nutzung die nächsten Jahre leerstehen wird. „Wir könnten es doch bis kurz vorm Spatenstich nutzen“, sagt er. Munne will wissen, daß die Fundus-Gruppe einigen Tacheles-Leuten 10.000 Mark gezahlt hätte, „um Unfrieden in den Laden zu bringen“. Er hat keine Hoffnung mehr für Berlin: „Berlin wird immer beschissener.“

Auch der 40jährige Adi, der mehr oder weniger regelmäßig ins Tacheles kommt, ist enttäuscht. Doch nicht vom Senat, sondern von den Leuten im Verein. „Das Tacheles ist im Endeffekt kaputtgewirtschaftet worden“, so seine Überzeugung. Der Senat sei noch nie jemanden „so in den Arsch gekrochen“. Adi versteht nicht, warum die Tacheles-Leute nicht auf das Investorenangebot eingegangen sind. „Mein Glauben an die Alternativkultur ist am Arsch“, sagt er. Wenn das Tacheles geräumt werden sollte, hätte das „gravierende Folgen für die ganze Stadt“. Auch die ganze Kneipenkultur rund um die Oranienburger Straße würde eingehen. Die einzige Lösung sieht er in einem neuen Verein mit einem Rechnungsausschuß, der die Finanzen offenlegt. Eine Räumung schließt Adi nicht aus. Er weiß auch schon, was er dann machen wird: „Dann setzte ich mich mit Thermoskannen mit Kaffee hin und gebe den Bullen noch Kaffee.“

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