: Das Kloster im Garten Eden bei Lissabon
■ In der Serra de Sintra versteckt sich ein kleines Kloster inmitten eines exotischen Parks. In der Miniaturkapelle kann man von der Tür aus die Kerzen auf dem Altar anzünden
Der Park von Monserrate auf halbem Weg zwischen Lissabon und dem Atlantik gilt bis heute als Inbegriff berauschender Sinnlichkeit. Seine Exotik samt lianenumwundener Baumriesen, Kulisse für einen maurisch-gotischen Palazzo, läßt kein Touristenherz unberührt. William Beckford bewohnte es einst, und Francis Cook, der Neffe des Reisebüro-Namensgebers James C. verlieh ihm das heutige Aussehen.
Es verwundert uns daher, beim Pförtner des Parks zu erfahren, daß Monserrate vor Zeiten eine Einsiedelei gewesen sei, Glied einer Kette von Mönchsbehausungen in den Bergwäldern der Serra de Sintra. Schmackhaft macht uns der Zerberus das Ziel mit dem Zitat eines feudalen Herrn und Urahnen Lord Byrons, der Philipp II. hieß und Sohn Karls V. war. Das Kapuzinerkloster unterm Kamm der Serra sei dem Philipp-ohne- Sonnenuntergang „eine von nur zwei architektonischen Kostbarkeiten“ seines Riesenreichs gewesen.
Die andere, nebenbei, war ihm „El Escorial“, das gewaltige Kloster in der Einsamkeit Kastiliens, unweit von Spaniens Hauptstadt Madrid, von den Einheimischen gern als „achtes Weltwunder“ gepriesen, ein Gebäude mit 1.200 Türen und 2.600 Fenstern.
Zwischen zwei dicken Felsblöcken quietscht eine Pforte, unwillkürlich bücken wir uns unter dem grünüberwucherten Steinbogen und betreten die Klause. Einige Stufen noch, und wir befinden uns im Vorhof des „Convento dos Capuchos“, der gesäumt ist von steinernen Bänken und Tischen, einst für Pilger, heute für Wanderer. „Santa Cruz“ habe das Kloster geheißen, als hier noch Mönche lebten, Kapuziner waren es, die ihren gottgeweihten Alltag nach Art des Franz von Assisi und seines Franziskaner-Ordens zwischen Gebet und Arbeit ausrichteten. Und noch einen Beinamen nennt João: Kork-Kloster – bevor er uns in die verlassene Kargheit der verwinkelten Anlage entläßt.
Die Eremitage wurde vor gut 450 Jahren erbaut, zu Zeiten von Eroberern wie Cortés, der für die spanische Krone Mexiko unterwarf. Wie jener mit einer kleinen Truppe verwegener Söldner ein fremdes Reich brutal und unerbittlich niedermachte, so hielt der Mönch Petrus von Alcantara seine Brüdergemeinde in der Behausung im Bergwald mit spanischer Härte an, ein Leben des Verzichts und der Entsagung zu führen.
Wenige Jahre vor der Ankunft der ersten Touristen von britschem Adel wie Sir Francis Cook war es mit der Mönchsrepublik zu Ende. Im Klostersturm von 1834 wurden auch die asketischen Kuttenträger aus der Serra de Sintra vertrieben. Ihr Kork-Kloster geriet später an einen Juraprofessor, der es schließlich der Universität von Coimbra vermachte.
Wir schieben uns in eine Kapelle mit Resten blau blinkender Azulejo-Kacheln. Folterwerkzeuge sind auf ihnen zu erkennen. Nebenan steht die eigentliche Klosterkirche. Eine riesige Felsplatte bildet Decke und Dach, auch die Wände sind aus dem Fels herausgehauen. Dies ist kein großes Gotteshaus: Seine Dimensionen erschließen sich, wenn man bemerkt, daß die Kerzen auf dem Altar von der Tür aus angezündet werden konnten. Auch das Refektorium, der Speiseraum der Mönche, den ein roh behauener Fels als Tisch fast ausfüllt, und die Küche, beide durch ein Loch in der Felswand verbunden, verdichten den Eindruck einer Höhlenbehausung. Unter niedrigen Ziegeldächern ducken sich zwölf winzige Zellen. Kaum kann ein Mensch darin stehen, Bettstatt und Türöffnung legen unmißverständlich nahe, daß hier keine barocken Kuttenträger hineinpaßten, ebensowenig Möbel, höchstens eine Bibel.
Im Schatten von Felsen und Bäumen fügen sich sakrale und profane Räume, Kapelle und Waschraum, Kirche und Klo mit den Zellen zu einem Halbkreis. Alles ist oder war mit Kork ausgeschlagen, eine natürliche Tapete aus den Bäumen ringsum, die auch jetzt, angesichts des Verfalls, der den Zustand einer Ruine aber noch nicht erreicht hat, Kälte und Nässe aus Stein und Fels bannt.
Der Pfad führt unter Korkeichen auf den Hügel, wo ein gewaltiger Steinklotz mit einem Kreuz thront. Nun erst vermittelt ein Blick in die Weite, daß das Gefängnishafte des abgeschiedenen Kork-Klosters umgeben ist von einer buntscheckigen Landschaft aus Wäldern, Weingärten und Dörfern, begrenzt vom Küstensaum mit dem Cabo da Roca, westlichster Punkt des europäischen Festlandes – und dahinter der unendliche Atlantik.
Zum Abschied gibt es von Türhüter João einen Geheimtip. Über der Steilküste beim Kap gedeiht der Colares – nach dem Dörfchen inmitten der Reben, ein legendärer Roter in Tintenschwarz. Seine Rebstöcke kriechen wie Treibholz über den Sand und graben ihre Wurzeln metertief in den darunterliegenden Lehmboden. So blieben sie seit je von der gefürchteten Reblaus verschont. Die Ramisco- Traube des Colares, klein und mit dicker Haut, geschmacklich zwischen Portwein und Claret, mag schon den Mönchen gemundet haben. Uns auch. Johannes Winter
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen