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Krach bei den Grünen in Wien

■ Der Bundessprecher der Partei gibt nach einem Streit ums Programm auf. Ihm wird Nähe zur Sozialdemokratie vorgeworfen

Wien (taz) – „Ich habe die Streiterei endgültig satt“, mit diesen resignierenden Worten begründeten Grünen-Bundessprecher Christoph Chorherr gestern seinen Entschluß, nicht zur Wiederwahl anzutreten. Der von der Parteibasis nie geliebte Sohn aus bürgerlichem Haus zog damit die Konsequenzen aus einer seit seiner Bestellung vor anderthalb Jahren unterschwellig geführten Personaldiskussion.

Die Entscheidung des Energie- experten dürfte letzte Woche nach dem Bundeskongreß in Graz herangereift sein. Chorherrs Entwurf für ein neues Parteiprogramm, das das Prinzip der Gewaltfreiheit durch ein schwammiges Bekenntnis zum Frieden ersetzte und sich auch in der Sozialpolitik in verdächtige Nähe zur Sozialdemokratie begibt, war erwartungsgemäß von der Parteilinken in der Luft zerfetzt worden. Speziell Euro- Parlamentarier Johannes Voggenhuber nützte die Debatte zu einer Breitseite gegen den Bundessprecher: „Dieser Programmentwurf ist dünn, beliebig und bezieht nicht ein einziges Mal klar Stellung.“ Die nächste Wahl des Bundessprechers stünde eigentlich erst im nächsten Mai an, soll aber jetzt vorverlegt werden. Für die Nachfolge bietet sich in der jüngsten Nummer des Wochenmagazins profil der bisherige Sozialsprecher und Nationalratsabgeordnete Karl Oellinger an. Der ehemalige KP-Aktivist, der über die Sozialdemokratie zu den Grünen gefunden hat, hält sich für medienwirksamer als den gestelzt redenden Chorherr und kommt mit Parteibasis und Gewerkschaften wesentlich besser zurecht. Er kann hoffen, so populäre grüne Politiker wie die Fraktionschefin Madeleine Petrovic und den Wirtschaftssprecher Alexander Van der Bellen für sich zu gewinnen.

Die Grünen haben zwar in den letzten Monaten ein paar schöne Erfolge erzielt, so konnten sie in den Bundesländern Oberösterreich und Steiermark erstmals in den Landtag einziehen, doch bundesweit stagnieren sie. Während die rechtspopulistische FPÖ Jörg Haiders die frustrierten Wähler der Großparteien zu Tausenden absaugt, können die Grünen kaum von der Krise der Regierungskoalition profitieren. Seit Jahren krebsen sie um die sechs Prozent herum. Der Erfolg eines Volksbegehrens gegen die Gentechnik im vergangenen Apirl konnte genausowenig für eine bessere Positionierung in der Volksmeinung genützt werden wie die Skepsis der Österreicher gegen die Rein-in-die-Nato- Politik der ÖVP. Die geradezu masochistisch betriebene Selbstzerfleischung über Personalfragen dürfte der Grund sein.

Bis zur nächsten Bewährungsprobe, der niederösterreichischen Landtagswahl im Frühjahr 1998, soll das neue Team fest im Sattel sitzen. Christoph Chorherr zieht sich jetzt in die Wiener Kommunalpolitik, zu Projekten wie Wohnanlagen ohne Autos zurück, wo er immer schon sein eigentliches Aufgabenfeld gesehen hat. Ralf Leonhard

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