: Wachturm: Anlageberater für geistige Kleinsparer
Ein bißchen Angst vor dem Ende muß schon sein. Sonst wird der Mensch ja faul. Seuchen, Perversionen, Verbrechen: Wie schützen wir uns davor? Ganz einfach: Wir verherrlichen nachdrücklich Jehova, „denn souveränen Herrn des Universums“. So steht's im Wachturm, der seinen Gott allerdings weniger als Universumschef betrachtet denn als Leiter der örtlichen Bankfiliale. Dort kann man gute Taten eintragen lassen und sich fairer Zinsen erfreuen. Die Seele ist ein Sparbuch, so ist das Leben leichter.
Der Wachturm dient als Anlageberater für geistige Kleinsparer. Das Seelenhaushaltsblättchen informiert über „lohnende Aufgaben“, über die „gebührende Vergütung“ beispielsweise, die den Sparer erwartet, wenn er die alten Eltern pflegt und nicht ins Heim steckt. „Reicher Lohn für heiligen Dienst“ lehrt der Lebensbericht des getreuen Gläubigen Harry Bloor: Ohne die Aussicht auf angemessene Belohnung läuft jedenfalls nichts Gutes, nirgends. Im Wachturm wird geschachert und gehandelt, daß es jeder Krämerseele eine wahre Freude ist. Auch wer sich dabei übernommen haben sollte, muß keine Furcht haben. Er darf, wenn er demütig genug vorspricht, auf Schuldenerlaß hoffen. Da ist Jehova großzügiger als die Deutsche Bank. Die Prozentfrage „Wie vollständig vergibt Jehova?“ beantwortet der „Wachturm“ eindeutig: Gott nimmt „den Schwamm“ und wischt die Schulden weg wie von einer Schiefertafel. Noch Sünden? Vergiß es!
Das Bankhaus Jehovas Zeugen rät dennoch allen Jugendlichen, jetzt schon „eine sichere Grundlage für die Zukunft zu legen“. Ein Foto zeigt dazu zwei junge Männer, vielleicht Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer und sein gescheiteltes Brüderchen. Was sie dem sauberen, aufmerksamen jungen Mann an seiner Haustür hinhalten, könnte eine Lebensversicherung oder ein Bausparvertrag sein. Es ist aber die „heilige Schrift“, und es geht um Werbung für das nächste Treffen der Jehova-Jugend. Denn dort lernt man „echte Christen“ kennen, die „reich sind an vortrefflichen Werken“ — und die bestimmt alle gut versichert sind. Wenn Sie weitere Informationen benötigen oder von jemandem zu Hause besucht werden wollen, der mit Ihnen „kostenlos die Bibel studiert“, dann rufen Sie doch einfach an. Oder lesen Sie die Rubrik mit dem schönen Titel „Königreichsverkünder berichten“. Das tröstet auch. Jörg Magenau
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