Das Vertrauen der Illegalen mißbraucht

Frankreichs Regierung rief die „Papierlosen“ auf, sich zu melden, dann werde man ihre Situation „regularisieren“. 150.000 folgten dem Ruf – nun wissen die Behörden alles über sie, und vielen droht die Ausweisung  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Letzte Nacht lief die Frist ab. Bis 0 Uhr konnten EinwandererInnen, die ohne Papiere, dafür aber schon seit Jahren und das nachweisbar in Frankreich leben, einen Antrag auf „Regularisierung“ stellen. Rund 150.000 Menschen, von denen die meisten aus ehemaligen französischen Kolonien stammen, überwanden ihre Angst, verließen ihre Verstecke und meldeten sich. Sie folgten einem Aufruf von Innenminister Jean-Pierre Chevènement, der gleich nach der Wahl im Juni angekündigt hatte, er wolle die Situation der „Papierlosen“ in Einzelfallprüfungen regeln.

Die Antragsflut verschaffte den französischen Behörden einen umfassenderen Überblick, als sie je hatten. Sie wissen jetzt nicht nur, wer die papierlosen AusländerInnen sind, sondern kennen auch alle wichtigen Details über deren Leben und das ihres Umfelds: Sie wissen, wo sie leben und (in aller Regel schwarz) arbeiten, wer an sie vermietet und wer sie versteckt.

Statt jedoch diese massive Vertrauenserklärung der Antragsteller an die französische Republik großzügig mit Aufenthaltsgenehmigungen zu honorieren, zeigen sich die Präfekten, die Vertreter der Pariser Regierung in der Provinz, abweisend. Bislang vergaben sie lediglich rund 5.000 Aufenthaltsgenehmigungen.

Zugleich verschickten sie sehr viel mehr „Aufforderungen zum Verlassen des Territoriums“ – allein in dem Pariser Vorortbezirk Saint-Denis sind es bislang 3.000. Wie viele Aufenthaltsgenehmigungen es bis zu dem für März 1998 anvisierten Abschluß der Einzelfallprüfungen werden können, lassen die Behörden nicht wissen. Pessimisten gehen von 10.000, Optimisten von maximal 50.000 Regularisierungen aus.

Letzteres würde bedeuten, daß die französischen Behörden, dank ihres nunmehr guten Überblicks, 100.000 Menschen zu Hause oder bei der Arbeit abholen können, um sie abzuschieben. Um jede Hoffnung auf eine trotzdem gütliche Einigung zu verhindern, kündigte Premierminister Lionel Jospin bereits unmißverständlich an, seine Regierung werde die „Rückführung“ aller abgelehnten EinwanderInnen organisieren.

Damit schnappt für viele, die seit Jahren in Frankreich leben und sich erfolgreich vor einer Abschiebung versteckt haben, die Falle zu. Die meisten „Papierlosen“ kamen legal ins Land – mit Touristenvisa oder Aufenthaltsgenehmigungen für spezielle Zwecke, wie beispielsweise ein Studium. Im Zuge der zahlreichen Ausländerrechtsverschärfungen des letzten Jahrzehntes, die heute unter den Namen der beiden konservativen Ex-Innenminister Pasqua und Debré bekannt sind, verlor eine stets wachsende Zahl von EinwandererInnen die Aufenthaltsberechtigung in Frankreich.

Wie viele „Papierlose“ es tatsächlich gibt, ist unbekannt. SozialarbeiterInnen und AnwältInnen schätzen, daß nur ein Teil von ihnen überhaupt einen Antrag gestellt hat, und die tatsächliche Zahl der „papierlosen“ Bevölkerung Frankreichs weit höher liegt.

Chevènements „Rundschreiben vom 24. Juni 1997“ hatte zunächst viele Hoffnungen auf Lösung eines langjährigen Übels geweckt. Erst eine genaue rechtliche Prüfung ergab, daß die elf darin genannten Kriterien für eine „Regularisierung“ derartig eng und streng gefaßt sind, daß sie bloß wenige Menschen erfüllen. Von den Antragstellern wird die Quadratur des Kreises verlangt. Unter anderem sollen sie schriftliche Nachweise über ihr Leben bringen, Miet-, Strom- und Gasquittungen etwa – wo es bislang stets darum ging, alle Spuren zu verwischen.

Die Einwandererhilfsorganisationen haben in den letzten Wochen fieberhaft gearbeitet. Antragstellern ohne Chance – vor allem Alleinstehenden – rieten sie oftmals davon ab, sich zu melden. Eine afrikanische Sozialarbeiterin schildert derart aussichtslose Fälle: Eine junge Frau aus Mali, die „papierlos“ und schwarz als Hausangestellte gearbeitet hat, bevor sie sich auf die Straße flüchtete. Eine Frau, die gegen ihren Willen zur Prostitution gezwungen wurde. Aussichtslos sind auch Anträge jener zahlreichen afrikanischen Frauen, die in Paris in polygamen Beziehungen leben – viele von ihnen anullierten in den vergangenen Wochen ihre vor heimischen Bürgermeistern geschlossenen Ehen.

Madjiguene Cisse, Sprecherin jener Afrikaner, die mit einer Kirchenbesetzung im vergangenen Jahr spektakulär auf die Situation der Papierlosen aufmerksam machten, bereitet heute erneut Proteste vor. Von der Regierung, die angekündigt hatte, die Probleme der Papierlosen zu regelen, ist sie enttäuscht.