piwik no script img

Wieder Barrikaden in Frankreich

Ein Kompromiß über Arbeitszeiten und Löhne war schon gefunden – doch dem glauben weder die wichtigsten Arbeitgeber noch die größten Gewerkschaften  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Seit gestern ist wieder Streik in Frankreich. Landesweit blockierten Lkw-Fahrer den Zugang zu Verkehrszentren, Häfen, Industriezentren, Raffinerien und Grenzübergängen. Bis zum späten Nachmittag bauten sie mit ihren Vieltonnern rund 140 Barrikaden, die sämtliche Transporte blockieren und bloß Pkws durch ihren „Filter“ lassen.

An mehreren strategischen Punkten, darunter an einem spanisch-französischen Grenzübergang sowie an der Europabrücke im Elsaß, verhinderten starke Polizeieinheiten den Barrikadenbau. Im Transportministerium versuchte gleichzeitig Minister Jean- Claude Gayssot, der auch die gescheiterten Verhandlungen der Vortage organisiert hatte, den Chef des größten Fuhrunternehmerverbandes UFT zurück an den runden Tisch zu bewegen.

Der Konflikt hatte sich seit Tagen abgezeichnet. Im Gegensatz zum vergangenen Jahr, als sie zwölf Tage im Monat November streikten und bis zu 220 Barrikaden auf einmal hielten, wollen sich die französischen Lkw-Fahrer dieses Mal zunächst auf wenige, dafür aber gut gesicherte Barrikaden konzentrieren. In geheimen Sitzungen hatten sie in den Vortagen die Punkte ausgewählt, an denen gestern die Lkws anrollten. Ebenfalls vorab waren Flugblätter und erklärende Aufkleber gedruckt sowie tonnenweise Kohle für wärmende Feuer an den Barrikaden bestellt worden.

In der Nacht vor dem Streikbeginn hatten vier der fünf großen Gewerkschaften der Lkw-Fahrer sowie einer der beiden Verbände der Fuhrunternehmer im Transportministerium einen „Kompromiß“ ausgehandelt. Darin sind fünfprozentige Lohnerhöhungen bis zum Jahr 2000 und eine maximale Monatsarbeitszeit von 200 Stunden vorgesehen. Sprecher der Gewerkschaften CFDT, FO, CTC und Autonome hatten lobende Worte über das „zufriedenstellende“ Ergebnis gefunden, auch der Verband der kleineren Fuhrunternehmer, Unostra, stieß in dieses Horn. Die andere Arbeitgeberorganisation, UFT, die die Großen der Branche mit teilweise mehreren tausend Arbeitsplätzen repräsentiert, hatte die Verhandlungen bereits Tage zuvor unter Protest verlassen. Die Gewerkschaft CGT zog sich daraufhin ebenfalls zurück.

Die Basis der 340.000 französischen Lkw-Fahrer fand den „Kompromiß“ ihrer Chefs nicht ausreichend. Am Sonntag nachmittag votierte sie massiv für den Streik. Kurz vor der Urabstimmung sicherte der Transportminister ihnen zu, daß das Abkommen vom Verhandlungstisch Gesetzeskraft bekommen, also auch für die UFT- Unternehmer verbindlich werden würde. Die leidgeprüften Fahrer überzeugte das nicht.

Bereits im vergangenen Jahr machten sie die Erfahrung, daß Kompromisse bei Verhandlungen keinesfalls eine Garantie für deren Umsetzung sind. Die meisten von ihnen warten unter anderem immer noch auf die Zahlung einer Prämie von 3.000 Francs (rund 900 Mark), die ihnen damals zugesagt worden war. Viele derjenigen, die gestern in den Streik rollten, waren schon im vergangenen Jahr dabei. „Ich hatte keine andere Wahl“ – „Was sollen wir sonst tun“, lauteten gestern ihre Kommentare.

Während die Regierungen der Nachbarländer in Paris protestierten und verlangten, Frankreich solle seine inneren Probleme lösen, ohne durchfahrende Lkw- Fahrer aus Nachbarländern zu beeinträchtigen, trugen die meisten Franzosen gestern den beginnenden Konflikt mit Fassung. Wohlweislich hatten sie sich bereits vorab mit Benzin und anderen möglichweise rar werdenden Gütern eingedeckt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen