: Bei „leeren Kassen“ hört Humanität auf
■ betr.: „Behinderte Kinder müssen draußen bleiben“, taz vom 30.10. 97
Daß ausgerechnet die „Hüter der Verfassung“ mit schlechtem Beispiel vorangehen und die „Integration“ eines behinderten Kindes in eine normale Schule unter den „Vorbehalt des organisatorisch, personell und von den sächlichen Voraussetzungen her Möglichen“ stellen, läßt Schlimmes befürchten. Ob Abschiebung in Sonderschulen oder Pflegeheime, Ausgrenzung durch bauliche oder technische Hindernisse, Modulsysteme in der Pflegeversicherung einerseits oder Steuerschlupflöcher für Großverdiener andererseits, es gibt nichts, was nicht „vertretbar“ wäre. Geschicktes Argumentieren und gekonntes Jammern über angeblich leere Kassen reichen nun auch für das Bundesverfassungsgericht aus, tatsächliche Diskriminierungen in verfassungsrechtlich „nicht unzulässige“ Diskriminierungen umzudeuten.
Es wird höchste Zeit für Antidiskriminierungsgesetze des Bundes und der Länder, in denen die jeweiligen Mehrheiten klipp und klar offenlegen, welche Rechte behinderte Menschen haben sollen und welche Leistungen sie von diesem Staat erwarten dürfen. Schluß wäre dann zumindest damit, sie auch weiterhin zu bloßen Opfern von guten Taten zu machen und sie im Regen stehenzulassen, wenn es nach Kassenlage „vertretbar“ erscheint. Klaus Fischbach, Berlin
[...] Während in unseren Nachbarländern (Dänemark, Holland, Italien) eine Neubesinnung auf das Recht des Menschen, auch des Behinderten, neue Wege der Humanität lehrt, verweilen wir in Deutschland, jedes Sinns einer humanen Existenz des schwächeren Menschen entleert, in der alten Tradition der Aussonderung und Ausgliederung von behinderten Menschen. Also bauen wir ihnen ihre Sondereinrichtungen! [...]
Vor dem Hintergrund unmenschlicher Vorurteile werden, so ist zu befürchten, die Bemühungen der emanzipatorischen Behindertenbewegung ins Leere laufen, werden, so ist weiterhin zu befürchten, die Vertreter der etablierten Politik der Versuchung nicht widerstehen, für Ausgrenzung, Diskriminierung und Einschränkung zu sprechen und zu entscheiden.
Es ist deshalb allerhöchste Zeit, daß alle um die Gesundheit, Erziehung, Bildung, Förderung und Integration behinderter Menschen Bemühten sich verstärkt in die Diskussion um die Integration und Förderung behinderter Kinder in den Regelschulen einbringen müssen. Wesentlich ist hierbei u.a. der Aspekt, daß das behinderte Kind, die besonderen Hilfen, die es aufgrund seiner Behinderung benötigt, an jedem Ort erhalten kann, also auch in einer Regelschule, von der ersten Klasse bis zum Abitur.
Durch die willkürliche Trennung in behinderte und nichtbehinderte Kinder und damit verbundener Aussonderung behinderter Kinder in Sondereinrichtungen wird der normale Erfahrungs- und Lebenszusammenhang für die behinderten und genauso für die nichtbehinderten Kinder auseinandergerissen. Durch die Schaffung von Integrationsklassen werden die Lebenswirklichkeit, die Kommunikation, das Einanderverstehen, die Auseinandersetzung zwischen den Schulkindern normalisiert. Das Miteinander im Klassenverband verlangt von den Kindern verstärkt soziale Kompetenz und Verhaltensweisen wie Rücksichtnahme, Schwierigkeiten anderer zu erkennen und darauf einzugehen. Diese Verhaltensweisen ergeben sich aus dem natürlichen und logischen, für die Kinder einsehbaren Zusammenhang des gemeinsamen Lernens und Aufwachsens und bleiben somit nicht als leere Kategorien und Forderungen bestehen. [...] Andreas Weinert, Göttingen
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