: Kruzifix und Computer für die Schule
Roman Herzog will zu einem neuen „Grundkonsens über Bildung“ gelangen. Modulares Studium von morgen und Werte von gestern sollen Deutschland „wieder das beste Bildungssystem der Welt“ bescheren ■ Aus Berlin Christian Füller
Der Präsident brach sein Schweigen. Der Spiegel mißachtete am Montag die Sperrfrist für die „zweite große Grundsatzrede“, die Bundespräsident Roman Herzog heute im Berliner Schauspielhaus zum „Megathema Bildung“ halten will. Also erläuterte Herzog gestern in einem Interview mit Bild, wohin der Schub zielt, den er „der Bildungsdiskussion in Deutschland geben will“. Unter Bildung versteht der Hausherr von Schloß Bellevue, ganz konservativ, „Erziehung“ zu Werten. „Zunächst einmal soll man die sogenannten Sekundärtugenden nicht verachten: Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit und Fleiß“, so Herzog.
Wie Hinkelsteine ragen solche Passagen aus dem Text heraus, den der Bundespräsident heute auf Einladung der Berliner Universitätspräsidenten vorträgt. Religionsunterricht ist gut, und Noten sind es sowieso. „Eltern und Erzieher müssen Vorbilder sein“, sagt Herzog auf die Stichwortfragen von Bild und erzählt munter, was sich an Traditionellem in seinem Manuskript finden läßt. Wie in seiner Rede teilte Herzog in dem Interview – „in aller Subjektivität“, wie es sich für das nur redende Staatsoberhaupt gehört – gezielt Hiebe aus.
Herzog straft die Bündnisgrünen ab, weil sie Zensuren erst ab der achten Klasse für sinnvoll halten. „Wer die Noten abschaffen will, schafft Kuschelecken, aber keine Bildungseinrichtungen, die auf das nächste Jahrtausend vorbereiten.“ Und auch das Experiment im (quasi atheistischen) Land Brandenburg, Religion durch das bekenntnisfreie Fach „Lebensgestaltung, Ethik und Religionskunde“ zu ersetzen, kriegt sein Fett weg. „Die Werte, auf denen unsere Gesellschaft beruht, müssen auch allgemein gelehrt werden“, heißt der gezielte Seitenhieb aufs religionsunterrichtfreie Stolpe-Land.
Doch Herzog widerlegt sich selbst. Direkt neben dem ihm so wichtigen Kruzifix möchte er Computer postieren. Der Umgang mit Internet oder Multimedia zählt für ihn zum praxisrelevanten Kernbestand des Wissens im 21. Jahrhundert. Und auch des Präsidenten emphatische Schlußbemerkung („Entlassen wir unser Bildungssystem in die Freiheit“) dürfte konservativen Bildungsideologen gar nicht passen. Herzog nämlich will, wie die Bündnisgrünen und etliche Schulreformer, Schule und Hochschule aus den bürokratischen Fesseln der Kultusbürokratien befreien. Sogar die heiligen Kühe Kultusministerkonferenz und „Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung“ möchte der Präsident zur Schlachtbank führen.
Für die Hochschulen wünscht sich Herzog, wie bisher, „mehr Wettbewerb“. Mit dem „modularen Studium“ setzt er diesmal beinahe Utopisches drauf. Das (selbst im Bildungswunderland Niederlande erst angedachte) Studium in Modulen, also austauschbaren kleinen Lerneinheiten, würde es Studierenden erlauben, sich einen Magister in Bologna, Kiel und Paris zusammenzubauen. Das ist hierzulande starker Tobak, wo Bildung bislang nur durch Vorzeigen eines deutschen Zertifikats beweisbar war.
Roman Herzogs zugleich antikes und modernes Bildungspuzzle läßt sich aus seiner Biographie erklären. Der ehemalige Professor, Minister und Richter ist lernfähig – Redestichwort: „lebenslanges Lernen“. Aber er hat stark konservative Wurzeln. An der FU Berlin (mit-)begründete er die erzreaktionäre „Notgemeinschaft für eine Freie Universität“. Zu seinen Lehrern zählte der Staatsrechtler Theodor Maunz, seines Zeichens der Grundrechtskommentator – und zuvor nationalsozialistischer Jurist.
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