: Neander sein Fön
■ Oder bringt uns am Ende der Mixer um? „Kabylon“: Ein Ausflug ins Paradies der Oldenburger Kulturetage
Ein hoher Anspruch: Mit dem neuen Stück „Kabylon“versucht das Oldenburger „widu-theater“, expo-gerecht das Verhältnis von Natur, Mensch und Technik choreographisch zu thematisieren. Die Ausgangsthese wird schon im ersten Bild klar: Es gab ihn mal, den paradiesischen Zustand unberührter Natur. Auf der Bühne der Oldenburger Kulturetage ist sie durch satte, üppige Gewächse mit fleischigen Blüten symbolisiert. Eine Wand schiebt sich davor, der dunkle Bühnenraum wird grell erleuchtet, und zu hämmerndem Techno zappeln Arme und Beine irrwitzig durch eine Lamellenfassade. Kurz darauf fuchteln Mixer aus dem Off und werden Haarföne betätigt. Und davor tummelt sich ein steinzeitliches Pärchen, offenbar im Liebesspiel.
Der Sündenfall: Mit dem Menschen kam das Begehren. Doch das ist männlich, denn dieser Neander dort will das Weiblein vernaschen – natürlich gegen ihren Willen. These Nummer zwei: Die Frau ist der Natur nahe, und erst mit dem männlichen Willen zur Macht kamen die Mixer und Föne in die Welt, oder? Das behauptet „Kabylon“zum Glück nicht so direkt. Eher wird hier versucht, dem durchtechnisierten Alltag auch amüsante Seiten abzugewinnen.
Da fummelt Dieter Hinrichs an einem Bohrer rum und probiert mit kindlicher Neugier, was man damit alles machen kann: Bohrer in den Mund stecken – tolles Geräusch –, Bohrer als Kuscheltier umarmen, einen Kollegen (Heiko Büter) anbohren, der das Gerät wie eine Knarre in der Hand hält. Klarer Fall: Maschine als Phallussymbol. Und wieder sind wir bei der Ideologie, die sich stets einmischt und die Koproduktion freier SchauspielerInnen, TänzerInnen und Choreographen (Heidrun Vielhauer) unter der Regie von Rotraut de Neve (beide Ex-Leiterinnen des Bremer Tanztheaters) zeitweise zu einem Erlebnis macht.
Da stürmt Katja Geist, die Hände über den Kopf schlagend, von der Bühne und ruft : „ Es sind Dichotomien, die uns umbringen werden.“Und tatsächlich fuchteln hier nur Männer mit Geräten herum oder überbieten sich in der Beschreibung technischer Daten, während die Frauen hechelnd riesige Luftballons zum Platzen bringen, um sich über die Lust des Gebärens kaputt zu lachen. Dieter Hinrichs, der Neander, füttert seine Frau (Vielhauer) zum gemütlichen Abendessen mit einer Pille. Das war's. Und sie bekommt einen Anfall seliger Erinnerungen an Sauerbraten und Feldsalat; die Naturnähe der Frau kann schon anstrengend sein im digital durchgestylten Alltag.
Im schnellen, revuehaften Szenenwechsel fallen die Ideologielastigkeiten zwar zunächst nicht weiter auf, aber die Tanzszenen zwischen den einzelnen Episoden wirken doch eher wie Kleister, um die Länge des Stückes von fast zwei Stunden zu rechtfertigen. Zum Schluß fühlt man sich zwar stellenweise amüsiert, aber wähnt sich zugleich auch auf einer Schulbank, denn ein Ende des Lehrpensums ist nicht abzusehen. Aber endlich: Zum guten Schluß wachsen statt umgreifenden Kabelsalats unserer annehmlich vernetzten Welt Efeu und Blumen durch die Lamellenwände. Ja, unter dem Pflaster liegt der Strand. Fragt sich nur: Wer trägt die Steine weg? Na also: Her mit dem Bulldozer. mig
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