: Im Zeichen des Big Bagel
■ New Yorker Lebenswelten in Berlin: Die am Montag beginnenden 11. Jüdischen Kulturtage gehen bis 23. November. Das Konzert der legendären Epstein-Brothers ist bereits ausverkauft
New York, New York. Wenn die Rede auf den Big Bagel kommt, gerät Andreas Nachama, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, schnell ins Schwärmen. Die Selbstverständlichkeit und die Vielfalt der jüdischen Lebenswelten in der amerikanischen Millionenstadt, in der so viele Juden leben wie nirgendwo sonst, begeistern ihn sichtlich. Und so berichtet der Metropolen-Flaneur bei der Pressekonferenz, auf der das Programm der 11. Jüdischen Kulturtage vorgestellt wird, vom Schlendern in den Straßen von Brooklyn, vom Imbiß koscherer Burger und von den Gegensätzen, die das Gesamtbild prägen: Von den ganz in schwarze Kaftane gewandeten chassidischen Juden, bis zu den Veranstaltungen der jüdischen Avantgarde-Szene, die sich downtown in der berühmten „Knitting Factory“ treffen und dort, wie Nachama meint, „das Reformjudentum in anderer Weise weiterspinnen“.
„Selbst wenn wir in Berlin an 365 Tagen im Jahr an 5 Spielorten ein Programm hätten, wir würden nur einen Bruchteil des jüdischen Lebens von New York erfassen“, schreibt Nachama im Geleitwort der Festwochen.
Einen besonderen Schwerpunkt bildet einmal mehr der beliebte Ballroom im Jüdischen Gemeindehaus. Im nunmehr fünften Jahr werden hier traditionelle Musik und Kleinkunst-Events im informellen Ballsaal-Ambiente präsentiert, der eher karge Saal im Gemeindehaus in der Fasanenstraße dafür mit Dekoration aus dem im Konkurs befindlichen Metropol-Theater ausstaffiert.
Das stilistische Spektrum reicht dabei von progressiv bis folkloristisch. Zum einen gibt es chassidischen Rock, vertreten durch Avraham Fried, der die Tradition der spontanen osteuropäischen Gebetsmusik mit modernen Mitteln verpoppt. Oder die Piamenta-Brüder Albert und Yossim, dem „jüdischen Jimi Hendrix“, die gleichfalls zu den orthodoxen Chassidim gehören, die an Gott wie auch an die Kraft der Rockmusik glauben.
Zum anderen wird jiddisches Liedgut geboten, einmal von der Gruppe azoy!, ein anderes Mal von Mark Aizikovitch, dem in Berlin lebenden, russischstämmigen Klezmer-Sänger. Erstmals in Berlin zu hören sein wird Hasidic New Wave, eines der vielen Projekte des Klezmatic-Gründers und Trompeten-Tausendsassas Frank London. Neue Wege erkundet auch das Weltmusik-Ensemble „Atzilut: The Fourth World“, die sich die diversen jüdischer Musikkulturen als Ausgangsbasis nehmen, um sie, mit afrikanischen und indischen Percussion-Instrumenten variiert, zur globalen Mischmusik zu kombinieren.
Die Konzerte im Haus der Kulturen der Welt bieten überwiegend Altbekanntes und vergleichsweise wenig Neues. So eröffnet mit der Klezmer-Kapelle Brave Old World eine Gruppe den Konzertreigen, die schon lange zu den Stammgästen auf Berliner Bühnen zählt. Die legendären Epstein- Brothers, die ihr Leben lang auf Hochzeiten und Bar Mitzwas aufgespielt haben und nun, im hohen Alter, als Veteranen des Klezmer gefeiert werden, treten zum dritten Mal bei den Kulturtagen auf. Im letzten Jahr, als mit „A tickle in the heart“ gerade ein Dokumentarfilm über die drei großen alten Männer des Klezmer in die Kinos kam, gehörte ihr Auftritt zu den Höhepunkten des Festivals. Ihr Konzert ist jetzt schon ausverkauft.
Ebenfalls eine ehrwürdige Gestalt ist Estrongo Nachama, der 79jährige Oberkantor der Synagoge in der Pestalozzistraße. Anläßlich der Festtage wird er in der Kongreßhalle seine eindringlichen, synagogalen Gebetsgesänge einmal außerhalb des regulären Gottesdienstes anstimmen. Der Job des Vorbeters ist, zumindest in Berlin, noch ausschließlich Männersache. Daher stellt es eine denkwürdige Premiere dar, wenn mit Rebbecca Garfein am 12. November die erste Kantorin im Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße zu Gast ist. Die musikalische Leiterin des Riverdale Temple in New York wird jüdische Lieder und Gebete in Hebräisch und Jiddisch singen. Für die Amerikanerin fast schon eine Art Rückkehr, war doch ihr Großvater einst, nach dem 9. November 1938, aus Nazideutschland emigriert.
Neben den vielen musikalischen Darbietungen wartet im Zeughaus-Kino noch eine Filmreihe mit manchen Erstaufführungen, etwa dem Dokumentarfilm „Nobody's Business“ von Alan Berliner, der den Konflikt des Regisseurs mit seinem Vater um Vergangenheit und Biographie festhält. Neben vielen weiteren Veranstaltungen, darunter einer Vortragsreihe über das Deutschlandbild amerikanischer Juden, rundet die Ausstellung „Dada und Fotografie“ mit Bildern des Berliner Modefotografen Erwin Blumenfeld, der es vom Hausfotografen der Konfektion Schlochauer am Hausvogteiplatz bis zum stilprägenden Titelfotografen der Vogue brachte, die diesjährigen Jüdischen Kulturtage ab. Daniel Bax
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