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Die Unsicherheit ist steter Begleiter

Dreihundertvierzig junge Menschen werden in Berlin ausgebildet, bevor sie freiwillig nach Bosnien zurückkehren. Dort sollen sie den zweiten Teil der Ausbildung absolvieren. Senat möchte mit dem Projekt die Rückkehr beschleunigen  ■ Von Tilman Weber

Die Wortführerin der jungen Bosnierinnen läßt die zum Pressetermin angereiste Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) nicht zur Ruhe kommen. Mit hartem Akzent, aber in beinahe fließendem Deutsch stellt sie Barbara John die Fragen, die allen ihrer meist noch unter 20jährigen Klassenkameradinnen unter den Nägeln brennen. Immer mehr von ihnen haben ihre Sitze verlassen. Sie stehen jetzt um die 25jährige Elisa Sadic, flüstern ihr die Fragen zu und freuen sich über die Aufmerksamkeit, die ihnen plötzlich auch von den anwesenden Journalisten zuteil wird.

„Wann erhalten wir unsere Duldung“, fragt die selbstbewußte Software-Schülerin. Ihre Stimme verrät unterdrückten Ärger. Wie alle Mädchen hier hat sie sich auf den Crashkurs für Computerschulung bei der gemeinnützigen Stiftung OTA eingelassen. In Zusammenarbeit mit dem Verein „Bosana“ wird die dreimonatige Kurzausbildung zur Bürokauffrau finanziert, an die sich eine ebenfalls dreimonatige Weiterbildung in Bosnien anschließen soll. Voraussetzung: Spätestens im März muß sie freiwillig ausreisen.

Dazu hat sie sich verpflichtet. Jetzt möchte sie Sicherheit. Denn noch in der vergangenen Woche hatte man ihr beim Ausländeramt mit der Polizei gedroht: Wenn sie nicht bald abreise, werden sie vielleicht abgeholt.

Die Ausländerbeauftragte baut sich hinter dem Lehrerpult auf, als müsse sie den anbrandenden Fragen körperlich widerstehen. „Ich werde Ihnen in den nächsten Tagen einen Brief schreiben“, versichert Barbara John den aufgebrachten Teenagern. Der verhelfe ihnen dann zu einer Duldung bis zum Ende der Ausbildungszeit.

Und dann wirbt sie um Vertrauen. Denn viele in Elisa Sadics Klasse haben wegen der unklaren Situation beim Verwaltungsgericht Einspruch erhoben. Schließlich haben alle sogenannte „Grenzübertrittsbescheinigungen“ erhalten, in denen die Behörden zur sofortigen Ausreise auffordern.

„Sie müssen diese Widersprüche zurückziehen, und es passiert Ihnen nichts“, wirbt Barbara John um Vertrauen. Punkt. Nicht mehr. Die Verunsicherung ist wieder da, auch wenn keine Schülerin sich weiter nachzufragen traut.

Schließlich ist die jetzt „als erstes europäische Projekt“ dieser Art angepriesene Aktion ohnehin ein Unternehmen mit vielen Unbekannten und Variablen, dessen Ausgang sich nicht berechnen läßt.

Noch gibt es in Bosnien keine Partner: Welche der jungen Frauen wohin kommen und ob es genügend Interessenten unter den wenigen intakten bosnischen Betrieben geben wird, ist unklar. „Ich höre immer nur Sarajevo, Sarajevo“, sagt Elisa Sadic. Sie fürchtet den Neid derjenigen, die in Bosnien mit ihren Eltern geblieben sind und jetzt im Nachkriegsland mit seinen 60 Prozent Arbeitslosigkeit keine Ausbildungsstelle gefunden haben.

Die knapp 340 bosnischen Teilnehmer der landesweiten Schulungsaktion wissen nur, daß die Europäische Union zusammen mit dem Land Berlin die Ausbildungskosten trägt und auch für die Unterkunft in Bosnien aufkommen will: Insgesamt zwei Millionen Mark kommen von der Europäischen Union, noch einmal 800.000 Mark vom Senat.

Mit der Aktion möchte die Ausländerbeauftragte die freiwillige Ausreise der noch rund 21.000 in Berlin verbliebenen bosnischen Flüchtlinge beschleunigen. Außer mit Bosana und OTA hat Berlin dafür mit mehreren anderen freien Trägern Verträge abgeschlossen.

Der gesamte OTA-Vorstand ist mittlerweile mit Mitarbeitern aus Johns Büro nach Sarajevo geflogen, um mit dortigen Behörden und Betrieben zu verhandeln. Geplant sei, dort bis März ein Schulungszentrum für insgesamt 200 Auszubildende aufzubauen. Dafür, so verspricht Projektkoordinator Stefan Nowack, werde die Stiftung rund eine Million Mark bereitstellen. Zudem wolle OTA die geplanten Werkhallen dann mit eigenen Maschinen und Geräten im Wert von insgesamt zwei Millionen Mark ausrüsten.

Die Ausländerbeauftragte hat den Frust im Klassenzimmer bemerkt und versucht sich in patriotischer Aufmunterung: „Wenn Sie in Bosnien arbeiten werden, dann machen Sie das doch nicht nur für sich. Sie arbeiten schließlich für ihr Land!“ Der Appell greift nur teilweise. Das merkt John. „Die Erfahrung mit Kriegen lehrt, daß es keine Sicherheiten für Rückkehrer geben kann“, erklärt sie das Dilemma.

Der 18jährige Jusuf Ibisevic ist beim OTA-Schlosserkurs untergekommen. Beim Stichwort „Angst“ beginnt er für Sekundenbruchteile, seinen Bürostuhl rasch hin- und herzudrehen. „Nein, Angst vor meiner Rückkehr hab' ich nicht so sehr“, sagt Jusuf, der aus dem serbisch besetzten Srebrenica kommt. Aber er wisse halt nicht, was dort auf ihn zukomme. Dennoch: Den OTA-Kurs findet Jusuf gut. „Besser als rumzusitzen und gar nichts zu tun.“

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