: Unterhaltung im Boot
■ betr.: „Bessere Debatten braucht das Land“, taz vom 30.10. 97
Sehr geehrter Herr Thomas Schmid, haben Sie die Rede von Grass nach dem Entwurf Ihres Gastkommentars für die taz noch mal gelesen oder war das nicht mehr nötig, weil Ihre in langer Mühe erworbene journalistische Erfahrung und Fähigkeit eine solche Überprüfung als unerlaubte Zeitverschwendung erscheinen ließ? Oder haben Sie wegen verständlichem Streß irgendeine andere oder eines anderen Rede oder Schrift gelesen? Es gibt ja so viele, ob die nun Beck, Biedenkopf, Bourdieu, Brukkner, Celan, Derrida, Finkielkraut, Godard, Grass, Halter, Hein, Hintze, Jens, Koeppen, Staeck, Wolf geheißen haben, und wer soll das dann noch alles im Kopf gehabt haben. Da sollte ja sogar auch ein Kemal was geschrieben haben, ja war da nicht auch irgendwie von Fontane die Rede... und das mit den verfolgten Kurden, denen das Recht auf Asyl verweigert wurde, spätestens da fällt uns, nicht wahr, Herr Schmid, ein, wofür sich einer von den oben genannten eigentlich geschämt hat, war da nicht was von Waffenexport und -gebrauch?
Üribens, ich kann Ihnen aus 14facher Erfahrung versichern, es lohnt sich anhand konkreter Fälle mit MdBs, die damals dem „Asylkompromiß“ zugestimmt haben, über akute Abschiebungsgeschichten von Kurden zu reden, die sind ganz erstaunt! Das Gespräch im Boot ist im Gang, auch wenn Sie es noch nicht so gemerkt haben, und die Rede von Grass ist hilfreich. Vielleicht schalten Sie sich mal ein?
Nebenbei, es gibt keine Behauptung über Grass in Ihrem Kommentar, die einer Prüfung am Text seiner Rede standhält. Wäre es nicht am einfachsten, Sie entschuldigten sich bei ihm für diese Irrtümer in den Sätzen, die mit den Zeilen 16, 25, 81, 85 und evtl. 197 (evtl., weil hier nicht ganz klar ist, ob Sie Grass meinen oder nicht meinen) beginnen.
Mit freundlichem Gruß vom Bug zum Heck Hermann Schmidt, München
Es ist grässlich. Da sagt mal einer was, mischt sich ein und manscht im real existierenden Gemisch aus Politik und Ästhetik, und dann ist es wieder nicht gut genug. Klarheit, die der Intellektuelle Grass zum Partialobjekt Kurdistan formulierte, wird vom Intellektuellen Schmid als anachronistisch bezeichnet, sogar als „unpolitisch“. Aber, dieser Vorwurf geht daneben, denn nach dem Ende der Eindeutigkeit (manche nennen's Postmoderne) ist auch die gerade Zeitachse kein Maßstab mehr, sprich: was heißt schon unzeitgemäß?
Der Bundesregierung aber ist in solchen Fällen an Philosophie weniger gelegen als an Heckler & Koch, und in Kurdistan herrscht nun mal Krieg, mit deutschen Waffen usw., also ziemlich eindeutig. Darüber zu reden lohne sich nicht, Schmid stellt seine eigenen Normen auf für die bessere Debatte. Die nämlich stellt nicht mehr in Frage, nimmt Kriege wie multikulturelle Gesellschaften hin wie ökonomische Ergebenheiten und fängt dann an zu diskutieren. Da ist so eine merkwürdige Einheit der aufrechten Demokraten von taz bis FAZ, die den Künstler an seine Blechtrommel schickt, um in Ruhe ihrem Geschäft (Politik) nachgehen zu können.
Die Multikultur zum Beispiel ist ein Faktum, sie soll auch da sein, als effektives „Programm gegen deutsche Langeweile“ (Schmid & Cohn-Bendit in „Heimat Babylon“). Die Ausgestaltung der gesicherten Heimat ist dann die „bessere Debatte“. Daß aber zwischen Kriegführung und Einwanderung beziehungsweise Flucht Zusammenhänge bestehen, darüber zu reden stört schon die „zivile Verfaßtheit“ (Schmid) der ach so offenen Gesellschaft.
Ich muß sagen, da find' ich Grass besser. Jens Petz Kastner, Münster
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