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Schere im Kopf

■ betr.: „100 Tage Programm für Rot-Grün“, „Die Grünen im Wunderland“, taz vom 3.11. 97

Dieter Rulff berichtet zutreffend, daß auf den Grünen-Ratschlag zur Wirtschaftspolitik in Hannover sich sowohl Kerstin Müller wie Jürgen Trittin dagegen ausgesprochen haben, Programme mit der Schere im Kopf zu schreiben. Daß hat Dieter Rulff nicht gehindert, seinen Bericht darüber mit der Schere seiner eigenen Vorurteile im Kopf zu verfassen, wonach Linke die Globalisierung leugnen und national borniert sind.

Rulff behauptet unter anderem, daß ich mich weigere, die Globalisierung als Chance zu begreifen. Die entsprechende Passage meiner Rede lautet:

„Es klingt paradox: Gerade unter den Bedingungen des globalen Wettbewerbs erweist sich die Standortstärke – und eben nicht die Standortschwäche – als eine der Ursachen für die Beschäftigungskrise in der Bundesrepublik Deutschland. Man kann diese Paradoxie auch anders fassen: Oskar Lafontaine ist für seine Anpassung an Schröders Wirtschaftspolitik unter anderem deshalb gelobt worden, weil er auf dem Dortmunder Innovationskongreß der SPD erstmalig die Globalisierung als Chance und nicht als Risiko beschrieb. Welch Blödsinn, und welch ein blödsinniges Lob. Ja, die Globalisierung bietet gewaltige Chancen – und der Exportvizeweltmeister Deutschland hat diese reichlich genutzt. Nur weiß jeder Kaufmann, daß dort, wo die Chancen hoch sind, die Risiken ebenfalls besonders hoch sind.“

Im Kommentar schließlich unterstellt Rulff dem Bundesvorstand nicht nur, daß der die Globalisierung als nichts anderes begreife als die perfide Fortsetzung des Kapitalismus (gibt es eine nichtkapitalistische Globalisierung?), sondern, daß er Europa nicht als Antwort auf die Globalisierung durchdekliniert. Auf dem Ratschlag kann er das nicht erfahren haben. Dort sagte ich wörtlich:

„Nachhaltige Wirtschaftspolitik muß auf eine Wiedereinbettung der internatioalen Ökonomie abzielen, will sie nicht die langfristigen Grundlagen wirtschaftlichen Handelns kurzfristigen Rentabilitätserwägungen opfern. Wirtschaftspolitik kann heute nicht mehr als nationale betrieben werden. Nur wenn die großen Wirtschaftsblöcke ihre Anstrengungen koordinieren, wird es möglich sein, einen wirksamen Steuerungsdruck hinsichtlich ökonomischer Zielvorgaben, aber auch hinsichtlich sozialer und ökologischer Standards auszuüben.“ Und – für Journalisten wie Rulff extra fett gedruckt, ging es weiter: „Nachhaltige Wirtschaftspolitik muß den Dreischritt von ökologischer Modernisierung, Neuverteilung der Arbeit und Reform der sozialen Sicherung bewältigen. Nachhaltige Wirtschaftspolitik in Deutschland kann nur europäisch sein.“

Gremlizas Wort von Kinder- FAZ für die taz ist eine doppelte Beleidigung: Zum einen gegenüber der FAZ, zum anderen gegenüber Kindern. Kein Kind glaubte ernsthaft, bei solch billigen Fälschungen würde es nicht erwischt. Jürgen Trittin

Anm. d. Red.: 1. Die entsprechende Passage des Artikels lautete:

„Das Feld der Wirtschaft hingegen ist von unterschiedlichen Lagebeurteilungen geprägt. Die Globalisierung als Chance begreifen, wie es Oskar Lafontaine tat – das findet Grünen-Sprecher Jürgen Trittin schlichtweg ,Blödsinn‘. Die Neoliberalen würden die Globalisierung als Chance zur Deregulierung sehen. Demgegenüber warnte der Vorstandssprecher der Heinrich- Böll-Stiftung Ralf Fücks, die Globalisierung sei kein ideologisches Kampfinstrument. Dem Programm der Grünen hielt er vor, daß es den Eindruck erwecke, als könnten die anstehenden Aufgaben im nationalstaatlichen Rahmen erfüllt werden.“

Die Leser mögen selbst entscheiden, ob das eine „billige Fälschung“ ist.

2. Gegenstand des Kommentars war der Entwurf eines Wahlprogramms und nicht die Rede des Vorstandssprechers – auch wenn das für manche anscheinend dasselbe ist.

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