■ Querspalte: Die Gnadenlosen gegen Jenninger
Sie hingen in den Wohngemeinschaften, jene Plakate, auf denen Kapitalisten noch wie Kapitalisten aussahen, mit Melone und Zweireiher, oder Christsoziale wie Knechte der Reaktion, mit Schmerbäuchen und feistem Grinsen. Es war die Zeit, da die Welt sich noch in Gut und Böse einsortierte. Klaus Staeck, dem Graphiker mit dem hadernden Hang zur SPD, blieb es damals vorbehalten, die Welt fürs linke Gemüt zusammenzustellen. Irgendwann ermüdete der Zeitgeist, verschwanden die Plakate und mit ihnen Staeck. Diese Woche aber durfte der Vergessene noch einmal einen Sieg feiern. Der Gegner, der alle viere von sich streckte, war Philipp Jenninger. Der Schwabe, wir erinnern uns, hatte 1976 eigenhändig CDU-kritische Staeck-Plakate in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft abgehängt. 1988 mußte er, als Präsident des Bundestages, wegen einer rhetorisch mißlungenen Rede zur Pogromnacht zurücktreten. Viel später erst, als manche sich die Mühe machten, Jenningers Manuskript durchzulesen, widerfuhr ihm ein wenig Wiedergutmachung. Hatte der Christdemokrat doch im Bundestag Schluß gemacht mit dem altdeutschen Ritual „Nicht ich war's, sondern Hitler ist's gewesen“. In wohltuend klaren Worten hatte er benannt, was seine Partei bis dahin weit von sich gewiesen hatte: daß die Ermordung der Juden von der Mehrheit in Deutschland stillschweigend geduldet worden war.
In dieser Woche nun wäre Jenninger wohl Präsident des Deutschen Instituts für Auslandsbeziehungen geworden. Staeck und andere Künstler aber sahen gnadenlos schwarz- weiß: Ein „profilierter Bilderstürmer“ dürfe kein Kulturrepräsentant werden! Und so geschah es auch. Wäre Jenninger aber Präsident geworden, hätte Staeck sicherlich ein Plakat für uns entworfen, einen flammenden Aufruf zum Schutze der republikanischen Kultur, darauf ein „Bilderstürmer“ mit dicken Händen und schweren Stiefeln, auf braunem Grund versteht sich. Ach ja, und im Hintergrund ein Scheiterhaufen. Severin Weiland
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