piwik no script img

Weltende als beschlossene Sache

■ Keine Sache des Affekts: Der Konzertfilm „An Evening With Portishead“im Abaton

Irgendjemand da oben ist Portishead-Fan. Obwohl es im sommerlichen New York sonst nie regnet, schüttete es aus allen Löchern an jenem Abend im Juli, an dem die Engländer nach langer Zeit wieder mit einem Konzert an die Öffentlichkeit traten. So gab es das passende theatralische Setting samt Neonlicht, das sich in den Pfützen der Straße spiegelt, vor der Tür des Roseland Ballroom, während drinnen die Sachlichkeit regierte. Die Scheinwerfer strahlten steril wie im Operationssaal, das Publikum hockte im Hörsaalrund ums Ensemble.

Ein Film wurde gleich mitgeschnitten, klar. An Evening With Portishead ist sein nüchterner Titel, und eine 35-Millimeter-Kopie davon ist jetzt auch in Hamburg zu sehen. Die Musiker überlassen nichts dem Zufall, bis zum letzten Ton ist alles Teil eines großen Plans. Kunst wird hier als totale Organisation betrieben. Bei Portishead sind Artefakte keine Sache des Affekts – da sollte man sich nicht davon täuschen lassen, daß Beth Gibbons singt, als sei das Ende der Welt beschlossene Sache.

„Mir wäre es recht gewesen, wenn der Auftritt noch kühler ausgefallen wäre“, sagt der musikalische Direktor Geoff Barrow. „Zuerst wollten wir in ein Fernsehstudio gehen, das wäre technisch optimal gewesen.“Natürlich spielt der Schmerz, an der die Wahrhaftigkeit von Kunst ja immer wieder gerne gemessen wird, auch bei Portishead seine Rolle. Es ist der Schmerz des Kreativen, der sich vom eigenen Anspruch auffressen läßt. Ein kalkulierter Schmerz, aber er kann monströs werden. Viele Kunstwerke sind an ihm gescheitert, ein paar wenige strahlen durch ihn umso heller. Sowie das zweite Album von Portishead.

1994 veröffentlichte die Formation Dummy. Jazz-Gesang, Soundtrack-Samples und Dub-Schleifen waren noch nie so inge-niös verzahnt worden, danach gab es nichts mehr zu sagen. Doch nach einem langen Prozeß des Experimentierens taten sich neue Aspekte auf: Statt den Pool bekannter Sounds zu plündern, spielte Barrow eigene Basic Tracks ein, ließ sie auf Vinyl pressen und sampelte daraus die Songs zusammen. Diese Technik dient nicht, wie einige Kritiker urteilten, dazu, Musik artifiziell alt erscheinen zu lassen. Vielmehr stellte sie den zutiefst bewegenden Versuch dar, eine Kunstwelt aus Klang zu schaffen. Wer gerne in großen Kontexten denkt, darf sagen: Hier wird das Ende der Postmoderne mit den Mitteln der Postmoderne eingeläutet.

In New York war aber alles klassisch. Da spielten Portishead mit Streichorchester und Big Band, während Beth Gibbons verhuscht an ihrem Schlabberpullover rumnestelte. No big deal – ist ja nur die Zukunft der Popmusik.

Christian Buß

Do, 13. November 22.45 Uhr/Sa, 15. November, 23.30 Uhr/So, 16. November, 22.45 Uhr, Abaton

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen