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Der Gefühle nie ganz sicher

■ Werner Schroeter inszeniert den „Menschenfeind“ am Hamburger Schauspielhaus

Zu Molières Zeiten begannen Theateraufführungen folgendermaßen: Die abgebrannten Kerzen vom Vorabend stehen noch auf der Bühne, dann erscheinen zwei Diener, stecken neue Kerzen auf, und – voilá – das Stück fängt an. Genau so beginnt Der Menschenfeind, Molières Stück, jetzt in der Inszenierung von Werner Schroeter am Hamburger Schauspielhaus.

Kerzen also, Dämmerlicht. Doch wo sind wir? Dies bleibt, wie vieles in der Aufführung, in der Schwebe. Am französischen Hof sind wir sicher nicht. Hohe Decken mit Stuck, von denen der Putz rieselt, große Türen, links eine Art Garderobe – wir könnten uns in einem heruntergekommenen Theater befinden (Bühne: Katja Hass). Oder in einem Hotel, das bessere Zeiten kannte. Ein frühes Stück von Botho Strauß heißt Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle. Es spielt in einem Hotel am Meer. Dort könnten wir sein, nicht nur von den Räumlichkeiten her. Auch durch ihren emotionalen Zuschnitt passen die Figuren, die wir sehen, in die frühe, noch nicht von Eigentlichkeitssuche beschwerte Botho-Strauß-Welt. Nur müßte man den Titel umdrehen: Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter.

Bei Werner Schroeter geht es nicht mehr um Leben oder Tod. Die Figuren waren schon lange zusammen, man kennt sich und die anderen, trotz mancher Ausbrüche liegt Patina über der Seele. Allerdings kann sich Arsinoe (Elke Lang) immer noch mühelos zur mühsam unterdrückten Hysterie emporschwingen und Aeaste (Jean-Pierre Cornu) noch immer zur fast ehrlichen Verzweiflung. Beispielsweise. Werner Schroeter breitet Molières Tableau aus Tratsch, Eifersucht und Überkreuzverliebtheiten mit Freuden aus. Nur daß es neu ist, das behauptet Schroeter nicht. Dann und wann scheinen sich die Figuren selbst zu wundern, wenn sich ihre Sätze zu altertümlichen Reimen fügen.

Markus Boysen spielt den Alceste mit viel Verve und Leidensmienen. Er kämpft noch, jedoch – wofür? Aus anderen Inszenierungen kennen wir ihn sich im Widerstreit mit der Gesellschaft befindend. Gesellschaft? Bei Schroeter traut man sich solche Allgemeinbegriffe kaum zu denken. Und den Kampf zwischen Ratio und Leidenschaft, der andere Interpretationen der Rolle durchglühte? Schroeters Alceste behauptet ihn noch, allein, man glaubt ihm nicht. Der Kampf ist entschieden, von Anfang an, denn die Leidenschaft ist real und die Ratio nur ein Wort. Und Alcestes Kampf läuft leer.

Die aktuellere Figur ist hier sowieso Celimene, Alcestes Angebetete. Alceste leidet noch authentisch; Celimene ist sich ihrer Gefühle nie ganz sicher. Alceste ist stets er selbst; Celimene spielt mit einer Reihe von Ich-Versatzstücken. Und doch hält sie, als die anderen sich über sie empören, ihre Hand ganz nah über eine Kerzenflamme. Eine typische Schroeter-Geste, in dieser Aufführung eine von wenigen. In anderen Schroeter-Inszenierungen mögen die Figuren brennen, hier brutzeln sie auf kleiner Flamme. Nur Alceste erlaubt es sich zu lodern.

Inka Friedrich spielt die Celimene mit Zurückhaltung. Manchmal aber kann sie eine Jugendlichkeit in die Figur legen, die die Umgebung überstrahlt. Die Entscheidungen, die Alceste fordert – für oder gegen ihn, für oder gegen die Gesellschaft –, diese Celimene versteht sie nicht. Es gibt so viel auszuprobieren, wie soll sie sich entscheiden können? Am Schluß rennt Celimene vor Alceste davon. Sie reißt eine der großen Türen auf, verschwindet darin und läßt die Tür offen. Alceste rennt durch einen anderen Ausgang anderswohin. Die Bühne bleibt leer. Die Tür steht offen. So endet das Stück. In der Schwebe.

Vielleicht bringen morgen die Diener neue Kerzen, vielleicht beginnt dann alles von vorn. Vielleicht aber dürfen wir es als Bild verstehen: Eine Tür ist aufgegangen inmitten dieses Spiels der verqueren Gefühle. Es muß nicht viel heißen. Auch das bleibt in der Schwebe. Gute Inszenierung.

Dirk Knipphals

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