: Schöngeist trifft Bremer Pöbel
■ Gratulation: „Yo La Tengo“provozierten zum einemillionsten „Velvet Undergound“-Vergleich / Ergebnis: Sie sehen so aus
Auf dem Weg in den „Römer“hatte man sich ganz, ganz fest vorgenommen, nicht daran zu denken. „Velvet Underground“-Vergleiche sollten keine Rolle spielen, wenn „Yo La Tengo“auftraten. Alle Nase lang werden die Hobokener mit den historischen Krachmachern und Schöngeistern verglichen. Nicht zu unrecht, aber gerne würde man diese großartige Band einmal würdigen, ohne auf das V- und das U-Wort zurückzugreifen.
Und dann gingen die Assoziationen trotz bester Vorsätze doch wieder los. Sogar heftiger als erwartet. Nicht mal Äußerlichkeiten blieben verschont. Sah Gitarrist und Sänger Ira Kaplan nicht aus wie „Velvet Underground“-Querkopf Lou Reed, bloß jünger und ohne die doofe Brille? Selbst dieser mürrische „Ach, jetzt muß ich hier schon wieder vor dem Pöbel stehen und Musik machen“-Gesichtsausdruck stimmte. Und dann die Stimme: Nasal und ohne große Musikalität; aber zum Zuhören zwang sie dennoch mit diesem sympathischen, breiten New Yorker Akzent, der immer das „man“so schön dehnt. Gespenstisch auch, wie Georgia Hupley hinter ihrem Schlagzeug saß, unbeirrt von allen Gitarrengewittern den Takt schlug und ab und zu mit gerade eben hörbarer Kleinmädchenstimme süße Zeilen sang. Beobachtet man dieses Verhalten nicht auch heute noch bei Ex-VU-Trommlerin Moe Tucker?
Die mürrische Miene von Hubleys Gatten Kaplan kam wohl nicht von ungefähr. Gerüchten zufolge war die Band alles andere als erfreut darüber, daß ihr Konzert vom „Modernes“in den deutlich kleineren (dafür rappelvollen) „Römer“verlegt worden war. So nutzte Kaplan jede seiner seltenen Ansagen, um eine Spitze gegen die Lokalität abzulassen: „Jetzt kommt eigentlich der Teil der Show, wo wir die Katze schwingen. Aber hier ist nicht genügend Platz.“Gleichfalls reichte der Platz nicht für die Farfisa-Orgel, deren Konfektionsbeat das Easy-Listening-Rückgrat des luftigen Liedchens „Center of Gravity“bilden sollte. Ein kleines Casio-Keyboard tat es im „Römer“allerdings genauso gut, wenn nicht besser.
Ähnlich versponnen und leise kam „Autumn Sweater“daher. Ansonsten waren leichte Töne in der Minderheit. Zwar eröffneten „Yo La Tengo“mit einer ausgedehnten Version des ruhigen „Return to Hot Chicken“, einem Instrumentalstück mit verträumt nachhallender Gitarre, hauten aber danach meistens gehörig in die Saiten. Besonders das große Finale mit der Rockversion von „Big Day Coming“machte keine Gefangenen mit seiner Mischung aus unbändiger Spielwut und militärischer Disziplin. Langsam wurde die straffe Struktur des Stückes in ein paradiesisch krachendes Chaos aufgelöst, nur um nach gebührlicher Zeit wieder ganz plötzlich zur strengen, spiralförmigen Akkordfolge des Anfangs zurückzukehren. So wurde man mit einem Schlag wieder in die Realität zurückgeholt.
Dort sollten die ZuhörerInnen dann auch bleiben, denn zu einer Zugabe ließ sich das Trio trotz energischer und ausdauernder Aufforderung nicht überreden.
Andreas Neuenkirchen
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