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Traum von Kunst

■ Philippe Parreno über das Modell Ausstellung

In einer „Fabrik der Wolken“ überführt Philippe Parreno im Hamburger Kunstverein die Institution Ausstellung in ein multimediales Feld der Möglichkeiten. Wir befragten den Franzosen nach seinem Kunstverständnis.

taz: In Ihrer aktuellen Arbeit beziehen Sie sich auf den Maoisten Robert Linhard, der wie viele andere Intellektuelle im Pariser Mai 1968 als Fabrikarbeiter die „werktätigen Massen agitieren“ wollte.

Philippe Parreno: Ich bin 1964 geboren, wuchs in einem politisierten Umfeld auf und hörte später davon im Sinne einer geradezu mythischen Geschichte. Als ich vor kurzem meine Beziehung zur Kunst hinterfragte, wurde Linhard wichtig, nicht als politischer Diskurs, sondern als ein methodisches Modell für Kunst. Viele junge Künstler sind an Gefühlen und Beziehungen interessiert. Dabei ist Linhards Erfahrung hilfreich: Wenn Du Revolution machen willst, mußt du erst Revolution in deinem Körper machen und mit wenigen Freunden um Dich anfangen.

Wenn Künstler Prozesse ausstellen, fragt das Publikum: Wo sind die Kunstwerke? Kaum jemand ist bereit, sich auf die Beziehungsangebote einzulassen.

Ich bin stolz, ein Künstler zu sein. Denn mit dem Modell Ausstellung haben wir ein phantastisches, machtvolles Instrument. Man kann viel mehr Information in ganz unterschiedlicher Weise bearbeiten als in sonst einem Medium. Eine Ausstellung ist nicht linear, alle Sinne werden aktiviert. Du kannst eine Ausstellung nie als Ganzes wahrnehmen, etwas entgeht Dir immer. Diese Komplexität ist es, warum ich Kunst mache. Und ich glaube an die soziale Begründung von Kunst. Ich sehe den Künstler als jemand, der seine Weise, frei zu sein, optimieren kann. Und ich verbessere die sozialen Beziehungen. Dann kommen Ausstellungsbesucher und fragen: Wo sind die Produkte? Sie sind bereits im Produkt. So wie beim TV: Sobald sie zappen, sind sie Teil des Programms. Manche fragen natürlich nie, aber in der Kunst hat man die Chance zu fragen, und dann ergibt sich ein Dialog. In der Kunst verstecken wir nie die Fragen, sie sind immer offen.

Sie bringen das Modell „Fabrik“ in die Kunst zu einem Zeitpunkt, da die Industrie ihrer Produktion in großem Stil „kreatives“ Verhalten verordnet: Verbesserungsarbeitskreise,selbstbestimmte Gruppen usw. Andererseits zerfällt die multizentrierte Gesellschaft in immer beziehungslosere Teilgrüppchen. Kann das klassische Modell der Arbeitsbeziehung noch etwas leisten?

Vor zehn Jahren dachten noch alle, es sei Pflicht zu arbeiten. Aber heute ist das nicht mehr moralisch konnotiert und vielleicht gar nicht mehr so wichtig. Man kann auch Teil der Gesellschaft sein ohne viel Arbeit. In der gewonnenen Zeit kann man über die Revolution nachdenken. Damit das dann nicht passiert, wird der Kulturbereich aktiviert, der soll dann die Probleme lösen. Und so kommen wir zur Fabrik der Wolken. Schon heute ist die freiwillige Arbeit in dem riesigen Bereich der „Hobbys“ größer als die Industriearbeit. Doch diese Aktivitäten sind vereinzelt. Wenn es in den 60er Jahren sinnvoll war, an die Fließbänder zu gehen, muß der Künstler heute in die „Fabrik der Hobbies“ gehen und dort Beziehungen herstellen. Wäre ich Maoist, müßte ich vielleicht Kontakte zwischen Teddy-Bär-Sammlern und Super-8-Filmern herstellen, um die Gesellschaft voranzubringen. Ein bißchen was davon hat mein Projekt hier. Ich schaffe einen Raum der Kontakte. Es ist eine Art Traum von Kunst. Kunst wird ja nicht immer so bleiben wie heute. Vielleicht gibt es in 50 Jahren fliegende Koffer oder statt Ausstellungen Leute, die in den Straßen springen . . . Statt Geschichte der Kunst sollten wir mehr Science-fiction der Kunst betreiben, es könnte vernüglicher sein.

Fragen: Hajo Schiff

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