: In dubio pro Gambia
Mit zweifelhaften Methoden verwandelt die Ausländerbehörde Flüchtlinge „ungeklärter Nationalität“in abschiebefähige Gambier ■ Von Marco Carini
Hamburgs Ausländerbehörde gibt sich weiterhin redlich Mühe, aus Westafrikanern „ungeklärter Herkunft“Gambier zu machen. Zu diesem Zweck ließ die Behörde vorige Woche auf Staatskosten den Direktor der gambischen Einwanderungsbehörde einfliegen. Der Mann namens Cessay sollte die Identität von sechs im Abschiebeknast Glaasmoor einsitzenden Westafrikanern überprüfen, deren Ausweisung Hamburg seit Monaten betreibt. Alle sechs Flüchtlinge geben an, aus den Bürgerkriegsländern Sierra Leone oder Liberia zu stammen. In diese Staaten darf die Bundesrepublik im Gegensatz zu Gambia nicht abschieben. Dokumente, die ihre Staatsangehörigkeit beweisen, besitzen die Afrikaner nicht.
Um den Besuch des gambischen Direktors möglichst effektiv zu nutzen, bestellte die Ausländerbehörde darüber hinaus 26 Flüchtlinge zum Gespräch, die von ihr ebenfalls verdächtigt werden, aus Gambia zu stammen. Sieben MigrantInnen erschienen, sechs von ihnen „identifizierte“Cessay prompt als Gambier. Sie wurden sofort in den Abschiebeknast Glasmoor verfrachtet.
Auch fünf der dort bereits einsitzenden Flüchtlinge erklärte Cessay zu seinen Landsleuten. Nur einer, der Westafrikaner Jonny K. (*), besitzt nach Angaben Cessays nicht die gambische Nationalität. Damit wurde K. zum zweiten Mal bestätigt, daß er wohl doch kein Gambier ist.
Die Hamburger Ausländerbehörde war zuvor stets vom Gegenteil ausgegangen. Noch im Spätsommer dieses Jahres hatten das gambische Konsulat und Botschaftsangehörige dem in Hamburg lebenden Flüchtling bescheinigt, er sei Gambier. Paßersatzpapiere und andere Zertifikate waren schnell besorgt. In Begleitung von vier deutschen Grenzschützern wurde Jonny K. in die gambische Hauptstadt Banjul geflogen. Dort wollten die Beamten ihren ungeliebten Schützling loswerden.
Doch daraus wurde nichts. Der diensthabende Beamte der Flughafenpolizei teilte seinen deutschen Kollegen mit, daß Jonny K. nicht aus Gambia sondern aus dem benachbarten Sierra Leone stamme. Die Beamten sollten ihn deshalb unverzüglich wieder nach Deutschland „zurückführen“.
Nach telefonischer Rücksprache mit der deutschen Botschaft unternahmen die Grenzschützer einen letzten Versuch: Sie legten 500 Dollar auf den Tisch, um – so heißt es im polizeilichen Reiseprotokoll – „die Weiterreise des K. nach Sierra Leone zu ermöglichen“. Doch K. wurde die Einreise in das bürgerkriegsgeschüttelte Land verwehrt. Unverrichteter Dinge flogen die Beamten zusammen mit dem Schwarzafrikaner wieder nach Deutschland zurück. Jonny K. sitzt seither wieder im Abschiebeknast Glasmoor.
Die teure, aber erfolglose Dienstreise ist kein Einzelfall. Bereits vor vier Monaten wurde bekannt, daß die Hamburger Ausländerbehörde einen Dolmetscher beschäftigte, der bereitwilligst 13 Flüchtlinge mit ungeklärter Herkunft aufgrund ihrer „Sprachfärbung“als Gambier identifiziert hatte. Der Schwindel flog auf.
Mehrfach wurden Schwarzafrikaner zudem von gambischen Botschaftsangehörigen per Telefon interviewt oder sogar in Brüssel vernommen. Zwar bestätigte die dortige Botschaft in acht Fällen zuerst die gambische Nationalität, relativierte jedoch postwendend ihr eigenes Urteil. Die Behauptung, die Flüchtlinge würden aus Gambia stammen, sei eine „bloße Vermutung“heißt es in einem Schreiben der gambischen Botschaft, das der taz vorliegt.
(*) Name v. d. Red. geändert.
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