: Trommeln für den Klub der Auserwählten
Morgen stimmen die Ungarn über den Beitritt ihres Landes zur Nato ab. Eine Mehrheit für das westliche Bündnis gilt als relativ sicher. Nur mangelnde Beteiligung könnte die Abstimmung noch scheitern lassen ■ Aus Budapest Keno Verseck
Eine merkwürdige politische Allianz wirbt in Ungarn in diesen Tagen für den Nato-Beitritt: Exkommunisten, Liberale, Populisten, Nationalisten – Politiker sämtlicher Parlamentsparteien sind einmütig dafür. Noch merkwürdiger klingen manche Argumente, die für den Nato-Beitritt werben. Jozsef Torgyan etwa, Chef der rechtskonservativen und populistischen Kleinlandwirte-Partei, meint, daß Ungarn nur, wenn es auch Nato-Mitglied werde, endlich ein solches Ansehen in der Welt genießen werde wie Deutschland.
Mit solchen Appellen an Nationalstolz und -gefühl wollten ungarische Politiker den Magyaren in den vergangenen Tagen den Nato- Urnengang schmackhaft machen. Morgen sind rund 8 Millionen Ungarn aufgerufen, in einem Referendum über die Nato-Mitgliedschaft ihres Landes abzustimmen. In den drei osteuropäischen Beitrittsländern Ungarn, Polen und Tschechien ist dies das erste Nato- Referendum. Die ungarische Regierung betrachtet das Ergebnis als bindend, denn Ministerpräsident Gyula Horn hatte in seiner Wahlkampagne 1994 versprochen, daß ein Nato-Referendum abgehalten würde.
Die Frage, auf die die Wähler antworten sollen, lautet: „Sind Sie einverstanden, daß die Republik Ungarn den Schutz des Landes durch einen Nato-Beitritt gewährleistet?“ Es gilt als relativ sicher, daß eine Mehrheit der Ungarn sich für den Beitritt ausspricht. Nach der letzten Meinungsumfrage von Anfang November sind etwa 60 Prozent der Wähler für einen Nato-Beitritt, 22 Prozent dagegen.
Das Lager der organisierten Nato-Gegner ist noch kleiner, als es die 22 Prozent vermuten lassen, und zudem bunt zusammengewürfelt. Gegen eine Nato-Mitgliedschaft Ungarns sprechen sich Rechtsextremisten und Kommunisten ebenso aus wie Grüne, Katholiken und Pazifisten. Sie beschworen in ihrer Kampagne tragische Szenarien: den Tod ungarischer Soldaten an Kriegsschauplätzen, mit denen Ungarn nichts zu tun habe, oder das kleine Land als Kriegsschauplatz anderer Mächte.
Eine Mehrheit hat ihnen das nicht eingebracht. Doch das Referendum könnte aus einem anderen Grund scheitern: wegen der seit Jahren bekannten Wahlmüdigkeit der Ungarn. Mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten, etwa zwei Millionen Menschen, müssen gültige Stimmen abgeben. Bei Abstimmungen in den vergangenen Jahren wurde diese Marke häufig unterschritten. Für Ungarn steht bei dem Referendum viel auf dem Spiel. Schon vor der Abstimmung hatte es einen langen Streit über Termin und Modalitäten gegeben. Ursprünglich war geplant, zugleich mit dem Nato-Referendum eine Volksabstimmung darüber abzuhalten, ob Ausländer in Ungarn Boden erwerben dürfen. Die Opposition – national und populistisch orientierte Parteien – war dagegen. Das ungarische Verfassungsgericht hatte das Vorhaben der Regierung Anfang Oktober zu Fall gebracht, womit das Referendum insgesamt in Frage gestellt war. Nach längeren Verhandlungen einigte sich das Parlament Anfang November darauf, an dem Termin 16. November festzuhalten.
Der mehrmonatige Streit um das Nato-Referendum hatte in Nato-Kreisen für Aufregung gesorgt. Denn bis vor kurzem stand es eher schlecht um die Nato-Begeisterung in Ungarn. Noch im Frühjahr schwankten die Meinungsumfragen zwischen knapper Ablehnung und Befürwortung einer Mitgliedschaft. Skeptisch waren die Ungarn vor allem, weil sie zu hohe Militärausgaben befürchten – in einer Situation, in der die Regierung seit mehr als drei Jahren einen Sparkurs fährt, um die Staatsverschuldung abzubauen und die Inflation zu senken.
Genau höhere Militärausgaben aber waren es, die die Nato von Ungarn gefordert hatte. Denn Technik und Ausbildungsstand der ungarischen Armee seien veraltet. Die Militärausgaben werden künftig von jährlich 1,5 Prozent des Bruttosozialproduktes auf 1,8 Prozent steigen müssen.
Um die Ungarn auf Nato-Linie zu bringen und einen für sie positiven Ausgang des Referendums zu sichern, wurde die Koalition aus Ex-Kommunisten und Liberalen in den vergangenen Wochen nicht müde, die Vorteile der Nato-Mitgliedschaft zu propagieren. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion könne nur die Nato die Sicherheit Ungarns garantieren, meint der ungarische Ministerpräsident Horn. Außenminister Laszlo Kovacs und Verteidigungsminister György Keleti rechnen vor, daß die Neutralität Ungarn dreimal teurer zu stehen käme als die Nato-Mitgliedschaft. Die Nato hat auch erklärt, daß sie auf ungarischem Boden weder Nuklearwaffen noch Truppen stationieren will.
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