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Am Ende zählt nur das Ergebnis

Wie fast überall erhofft, schafft Italien durch Casiraghis 1:0 über die Russen die Qualifikation für Frankreich, zeigt sich dabei aber nicht eben weltmeisterschaftsreif  ■ Aus Neapel Werner Raith

Antonio Nerone gehört zu jenen Tifosi, die auch durch dichtesten Nebel noch alles klar und hell durchschauen: „Hast nix versäumt“, tröstet er mich, als ich mich über den Rauch beschwere, den das rituelle Feuerwerk verursacht hat. Auch den Aufschrei, als in der achten Minute die Italiener beinahe durchgebrochen wären, deutet Nerone ohne Zögern: „Das muß Ravanelli gewesen sein, der Schrei kam von dort drüben.“

Nach und nach legt sich der Rauch, und es zeigt sich, daß Antonio nicht nur dessen Schwaden zu durchschauen versteht. Er kennt sich auch aus mit den unergründlichen Wegen des internationalen Fußballgeschäfts. „Völlig unmöglich, daß die Fifa die WM ohne Italien ausrichten kann“, kolportiert er eine der momentan so beliebten Verschwörungstheorien, „da hat es sicher Instruktionen an die Russen gegeben.“

Auch der russische Trainer hatte so etwas gemunkelt: „Ohne die Italiener, haben sie uns gesagt, würden zahlreiche Sponsoren ausfallen und die ganze Weltmeisterschaft angeblich fade.“ Daher fürchtete er weniger Fans in Neapel, als vielmehr „daß der Schiedsrichter ein Schweizer ist – wie der Generalsekretär der Fifa.“ Noch weniger beeindruckt zeigte er sich von den italienischen Kickern, die vor 17 Tagen mit einem 1:1 aus der winterlichen Schlammschlacht von Moskau zurückgekehrt waren.

Daß Italiens Fußballer für das entscheidende Spiel der Europagruppenzweiten im San-Paolo-Stadion zu Neapel besser gerüstet waren, war trotzdem offensichtlich – nicht wegen des Heimvorteils, sondern weil sie sich aller denkbaren übersinnlichen Mächte versichert hatten. San Gennaro, der Stadtheilige, dessen Blut alle Jahre im Januar flüssig werden soll, hatte so viele Blumen wie schon lange nicht mehr erhalten, und der Erlös des Spiels war einhellig den Erdbebenopfern in Umbrien zugedacht; selbst VIPs und andere Freikartenempfänger wurden massiv zur Kasse gebeten für den gottgefälligen Zweck. Die Russen hatten da nur ein paar Ikonen entgegenzusetzen gehabt. Und die wurden bei der Gepäckkontrolle auch noch von den Zöllnern mißtrauisch beäugt, die mutmaßten, daß die Heiligenbilder heimlich verscherbelt werden sollten.

Dennoch: Den Schiedsrichter, so stellte jedenfalls Antonio Nerone sachkundig schon nach einer halben Stunde fest, „den haben sie nicht gekauft“ – der hätte bereits zu dieser Zeit ohne große Bedenken zwei Elfmeter gegen die Russen geben können. Wie aber könnten es das Schicksal oder dessen Sponsoren sonst angestellt haben, daß Italien sicher ins Himmelreich kommt? Nach der ersten Halbzeit sieht Antonio erneut Klares: „Die Stürmer der Russen, die schießen doch alle vorbei.“

Das hat man tatsächlich gemerkt, aber das hatten sie auch schon in Rußland so gehalten und bei anderen Qualifikationsspielen – nur deshalb mußten sie ja auch in die Hoffnungsrunde. Antonio läßt das nicht gelten: „Die hauen extra daneben, die könnten schon anders.“ Nachdem Pierluigi Casiraghi dann einen Ball zum 1:0 ins lange Eck gesetzt hat (53.), sieht sich Nerone bestätigt: „Jetzt könnten sie aufdrehen, die unseren spielen doch nur auf Ballhalten.“

Aber sie drehen nicht auf, die Russen. Und es passiert tatsächlich nichts mehr – nur daß mittlerweile auch die Italiener Chancen reihenweise vergeben. Schiedsrichter Muhmenthaler versucht nach fehlerfreien 60 Minuten noch etwas Spin ins Spiel zu bringen, indem er nach Gießkannenprinzip gelbe Karten verteilt. Aber auch das ändert nichts mehr.

Cesare Maldini, der bisher eher glücklose Coach der Italiener, wird nach dem Spiel in der Pressekonferenz sagen, daß „nur das Ergebnis zählt“. Aber genau das werden ihm dann die Kommentatoren einhellig um die Ohren hauen: „Mit dieser Mannschaft können wir auch gleich zu Hause bleiben“, grollt der Sprecher des Staatsfernsehens RAI, und auch la Repubblica murrte gestern: „Außer der Qualifikation haben wir nichts gewonnen.“ Der Corriere dello sport tröstet sich: „Jetzt haben wir ein halbes Jahr, in dem es vielleicht noch besser wird.“ Hoffnungsvoll klingt das alles nicht.

Natürlich sehen die italienischen Spieler das ein bißchen anders. „Erinnert euch, wie verzagt ihr vor dem Spiel wart, daß wir es nicht schaffen könnten“, sagt Ravanelli, der aus Marseille zur Verstärkung eingeflogen worden war, „und jetzt mosert ihr nur herum.“

Stimmt, sagt Antonio Nerone, „so sind wir halt, wir Italiener“. Und am Ende zählt ja wirklich nur der Erfolg. Ganz gleich, wer ihn sichergestellt hat: die Kicker, der schwache Gegner, die Gewaltigen der Fifa – oder San Gennaro und der liebe Gott über Umbrien.

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