: Verrückte mit Stein und Besen
Leben in der Bundesliga (VII): Curling ist „kein Wurst- und Käsesport mehr“, sagt Andi Kapp. Als Sieger der Bundesliga darf der Skip mit dem CC Füssen zu den Olympischen Spielen ■ Von Frank Ketterer
Söllingen (taz) – Fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit haben Andy Kapp und seine vier Freunde Großes geleistet. Als es tatsächlich noch einmal brenzlig zu werden schien für den Curling Club Füssen, haben die jungen Männer ihren Besen geschnappt und sind raus aufs Eis, wo sie die marmornen Steine genau dorthin plaziert haben am anderen Ende der langen Bahn, wo sie plaziert werden mußten. Und so hat der Vorsprung aus den beiden vorherigen Runden schließlich doch noch gereicht, um sie am zurückliegenden Sonntag zum Sieger der Bundesliga-Herbstrunde des Deutschen Curling Verbandes (DCV) zu machen.
Darüber hat sich Andy Kapp, der Skip der Füssener Curlingmannschaft, natürlich gefreut. Auch. Viel wichtiger für ihn aber war, daß nur die Bundesligasiegermannschaft in drei Monaten zu Olympia ins japanische Nagano fahren darf, und zwar komplett, weil der Sieger der Bundesliga auch die Nationalmannschaft ist.
„Was früher Deutsche Meisterschaft oder WM-Qualifikation hieß, heißt jetzt eben Bundesliga“, umschreibt Kapp den sportlichen Wert der nationalen Curling-Serie, der somit ein recht hoher ist. Sechs Teams bei den Männern, vier bei den Frauen waren beim Herbstfinale im badischen Söllingen auf dem Eis. Ab der nächsten Frühjahrsrunde, die schon im Januar beginnt und deren Sieger sich am Ende Deutscher Meister nennen und zur WM nach Kamloopps in Kanada fahren darf, werden je zwölf Teams die erste Runde bestreiten. „Zu viel“, findet Kapp, „weil es in Deutschland einfach nicht so viele gute Teams gibt.“
Dafür sind die, die in der Bundesliga an der Spitze stehen, auch in der Welt spitze. Was Kapp (29) und seine Freunde erst im April beweisen konnten. Zweite bei der WM sind sie da geworden in Bern. Jetzt hegt man beim DCV natürlich große Hoffnungen, was Olympia angeht, wo Curling erstmals seit 1924 wieder mit von der Partie ist als richtig echter Wettbewerb, nachdem es in Calgary (1988) und Albertville (1992) nur demonstrationshalber mitmachen durfte. „Andy ist Vizeweltmeister“, sagt beispielsweise Keith Wendorf, der Bundestrainer, „bei Olympia hat er die gleiche Erfolgschance.“
Darauf setzt der Verband, dem es finanziell nicht sonderlich gut geht. Das heißt: Eigentlich geht es ihm sogar ziemlich schlecht. Die finanzielle Ausstattung der Top- Athleten ist durch die bereits erbrachten Erfolge bei WM und EM zwar gewährleistet, weil mit Fördermitteln des Bundes belohnt, die Basis aber plagen Sorgen. Schon deshalb, weil es keine billige Angelegenheit ist, eine der sieben deutschen Curlinghallen zu betreiben, wenn es landauf, landab gerade mal rund 650 aktive Curler gibt. Fußball kennt eh jeder. Die taz-Serie untersucht: Wie lebt es sich in anderen Bundesligen? Bisher erschienen: Judo (30. April), Faustball (27. Mai), Baseball (10. Juni), Mountainbike (2. September), Kegeln (14. Oktober), Squash (28. Oktober)
Eine Haushaltslücke von 24.680 Mark und Schulden von rund 30.000 Mark drücken laut Verbandszeitung Curlingsport den DCV. In seiner Novemberausgabe rückt das Blatt den Verband ausgerechnet in die Nähe einer Pleite. Davor also sollen Kapp und möglichst auch Frauensiegerin Andrea Schöpp mit ihrem SC Riessersee ihre Sportskameraden bewahren – mit einer Olympiamedaille. „Publicity“, glaubt Bundestrainer Wendorf, würde die bringen und vielleicht den einen oder anderen Sponsor. Im Moment ist es kaum interessant, mit oder beim Curling zu werben. Die Medien interessieren sich nur am Rande dafür, nach Söllingen hatte neben den Lokalblättern lediglich die Süddeutsche einen Reporter entsandt – und natürlich die taz.
Andy Kapp hat aber Besserung ausgemacht. „Als ich vor 15 Jahren mit dem Curling anfing“, sagt er, „hielten das manche für irgendein Gewürz. Heute weiß man wenigsten, daß wir die Verrückten mit Stein und Besen sind.“ Das ist wahrlich ein schöner Trost für Hochleistungssportler, die ihr Hobby in den letzten Monaten „bis an die Grenze ausgedehnt“ haben (Kapp), um bei Olympia dabei sein zu dürfen. „Curling ist heute kein Wurst- und Käse-Sport mehr“, sagt Kapp, der ein echter Typ ist.
Die Marmorblöcke wiegen 19 Kilo, fünf Kilometer, so hat man ausgerechnet, legt ein Spieler pro Spiel auf dem Eis zurück. Nach manchmal drei Spielen pro Tag fühlt sich Kapp „platt wie eine Flunder“. Und doch ist es vor allem die Psyche, die über Sieg und Niederlage entscheidet beim „Schach auf dem Eis“ (Kapp). „Du mußt trainieren, keinen Druck zu spüren“, sagt er, „du mußt dir sicher sein zu gewinnen.“ Wie's scheint, können Kapp und seine vier Füssener Freunde das besonders gut.
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