: Von Shell in die Sahara und zurück
Einst galt das Pestizid Dieldrin in Mauretanien als Wundermittel gegen Heuschrecken. Dann kam das Verbot, die Restbestände wurden vergessen. Nun werden die Giftfässer endlich entsorgt ■ Aus Nouakchott Christine Nimaga und Ruth Kirchner
Wie eine Mauer trennt die kilometerlange Stranddüne das weite Wüstengelände vom Meer. Zur See hin herrscht im alten Hafen von Mauretaniens Hauptstadt Nouakchott reges Treiben. Flotten von schmalen, langen Booten bringen volle Netze an Land. Marktfrauen handeln, räuchern und verhökern frischen atlantischen Fisch. Hunderte von Käufern in indigoblauen Gewändern oder vielfarbigen Trachten schieben sich zwischen dampfenden Ölpfannen, Piroggen und einigen gestrandeten Kuttern hindurch.
Landwärts, auf der flachen Ebene hinter der Düne, weht keine frische Meeresbrise mehr. Es sind kaum Menschen zu sehen. Hier stehen wie aus einer anderen Welt Kräne, Benzinsilos und Lagerhallen. Auf einem abgezäunten Gelände ruhen neun strahlendblaue Tanks, so groß wie Schiffscontainer. Dahinter eine Batterie brauner, rostzerfressener Fässer.
In glühender Hitze arbeitet ein Dutzend Männer in weißen Overalls, Gummistiefeln, Helmen und Handschuhen. Hinter ihren schwarzen Atemschutzmasken ist die Anstrengung und Konzentration nur zu ahnen. Vorsichtig öffnet Hama Sheredi eines der Fässer und pumpt eine braunschwarze Flüssigkeit in einen der Tanks. Jeder Handgriff sitzt. Nichts von der übelriechenden Mischung soll danebengehen.
In den Fässern schwimmt in einer Diesellösung das Pestizid Dieldrin – ein Nervengift. Von der Weltgesundheitsorganisation ist das Mittel als „äußerst gefährlich“ eingestuft. In Fachunterlagen wird Dieldrin verdächtigt, krebserregend zu sein und Mißbildungen von Embryos hervorzurufen.
Giftmüllexport anders: Von Afrika nach Europa
Im alten Hafen von Nouakchott klebt ein holländischer Entsorgungsexperte Totenkopfzeichen auf die blauen Tanks. Aber der 22jährige Hama Sheredi hat keine Bedenken. „Ich kenne in meinem Leben nur eine Angst – die vor den Frauen“, flachst er. Nach getaner Arbeit werden er und seine Kollegen sich dennoch einer Blutuntersuchung unterziehen müssen. So schreiben es die Richtlinien der deutschen Entwicklungsbehörde GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) für die Entsorgung von Dieldrin vor. Rund 200.000 Liter der toxischen Chemikalie werden in Nouakchott fertig für den Seetransport nach Europa gemacht. In Rotterdam soll die gefährliche Fracht in einer speziellen Verbrennungsanlage bei 1250 Grad zerstört werden.
Es ist das unrühmliche Ende einer großen Hoffnung. Ähnlich wie Lindan und DDT gehört Dieldrin mit dem chemischen Wirkstoff HEOD zur Gruppe der chlorierten Kohlenwasserstoffe und war nach DDT eines der ersten synthetischen Pestizide, die in großem Maßstab in der Landwirtschaft eingesetzt wurden – in Afrika gegen Mücken, Termiten, Tsetsefliegen und vor allem gegen Heuschrecken, die immer wieder ganze Landstriche kahlfressen. Die besondere Eigenschaft von HEOD war die Langlebigkeit: Mit Dieldrin konnte man ganze Anbaugebiete praktisch „einzäunen“. Breite Landkorridore, besprüht mit Dieldrin, sperrten die Schädlinge monatelang aus. Auf Empfehlung der Welternährungsorganisation FAO lagerte daher das wüstenreiche Mauretanien, das als Brutstätte von Heuschrecken in Nordwestafrika gilt, Dieldrin auf Vorrat. Tonnenweise wurde die Chemikalie in Deports über das Land verteilt.
Aber die Langlebigkeit von Dieldrin ist auch sein größter Fluch. Eine Halbwertszeit von bis zu zwanzig Jahren verhindert den Abbau der Giftstoffe, die sich somit in der Nahrungskette anreichern können. 1962 beschrieb die US-Biologin Rachel Carson in ihrem Bestseller „Der stumme Frühling“ die verheerenden Folgen: Ganze Vogelpopulationen wurden ausgerottet, auf den Feldern fand man tote Nagetiere, in den Farmen verendeten die Katzen. In vielen Industrieländern wurde Dieldrin daraufhin verboten – in Deutschland 1972.
In Afrika und dem Nahen Osten riet die FAO aber erst 1982 vom Dieldrin-Einsatz dringend ab. Bis dahin wurde das Gift tonnenweise in Mauretanien, Senegal, Mali und Niger versprüht. Nach der FAO- Warnung blieb Mauretanien auf Tausenden von Litern des toxischen Stoffes sitzen. Aus der großen Hoffnung war eine Altlast geworden.
Zum Beispiel in Rosso. Die Kleinstadt liegt im Grüngürtel des südlichen Mauretanien am Ufer des Senegals. Hier wachsen Bäume nicht nur in Oasen, sondern auch auf den Feldern, wo Hirse und Mais angebaut werden. Zur Regenzeit gibt es reichlich Gras für Viehherden. Es ist nach den Dürren der siebziger und achtziger Jahre die letzte Region Mauretaniens, in der noch richtig Ackerbau betrieben wird. Ein Heuschreckenschwarm hier würde Mauretaniens Kornkammer leer fressen.
Am Stadtrand von Rosso befand sich bis vor kurzem das größte Pestizidlager Mauretaniens. Seit 1982 rotteten hier Fässer mit insgesamt 70.000 Liter Dieldrin still vor sich hin. Nur wenige Meter vom Flußufer entfernt sickerte das Gift aus den rostigen Fässern. Als das Dieldrin anfing aus dem Lager auszulaufen und den Boden zu verseuchen, warnte die Verwaltung Viehbesitzer und Eltern vor der Gefahr einer Kontaminierung. Aber wie hoch das Grundwasser hier zur Regenzeit stieg und ob es in Kontakt mit der verseuchten Erde gekommen ist, ist nie geprüft worden.
Ursprünglich waren die Pestizidlager in Mauretanien so konzipiert worden, daß sie außerhalb der Ortschaften liegen – inzwischen sind die Städte aber gewachsen. Gegenüber der Lagerhalle von Rosso befindet sich heute eine Schule. Nebenan ist ein Jugendzentrum. Kinder aus der Stadt spielen hier Basketball. „Seit langem spielen wir hier jeden Tag“, sagt einer der Jungen. „Erst seit letztem Monat weiß ich, was sich dort befand – seit die Männer mit den Masken und Overalls hier waren.“
Die Männer mit den Masken und Overalls waren die Mitarbeiter des Projektes zur Dieldrin-Entsorgung, die im September die Dieldrin-Fässer in ganz Mauretanien einsammelten. Über 1.000 Fässer wurden teilweise über Wüstenpisten nach Nouakchott gebracht und zur Verschiffung nach Rotterdam in Tanks umgefüllt. „Vor Ort können wir eine umweltschonende Verbrennung der Substanzen nicht garantieren“, erläutert Wolfgang Schimpf, Entsorgungsexperte der GTZ und technischer Leiter des Projekts. „Deshalb haben wir eine Entsorgungsfirma in Europa damit beauftragt. Das Zeug geht jetzt zurück an den Absender, denn das Dieldrin war ja ursprünglich in den Niederlanden produziert worden.“
Der „Absender“ ist in diesem Falle der niederländisch-britische Mineralölkonzern Shell. Über 40 Jahre lang, bis die Produktion 1987 gestoppt wurde, war Shell der einzige Hersteller von Dieldrin. Warum Shell auch nach der FAO- Warnung weiterproduzierte, erläutert Manager Mark Wade in der Konzernzentrale in London: „Die FAO hatte damals nur vor der Verwendung von Dieldrin zur Heuschreckenbekämpfung gewarnt. Für den Einsatz gegen andere Schädlinge wie etwa Termiten galt diese Warnung nicht.“
Shell und die GTZ arbeiten seit sechs Jahren bei Entsorgungsprojekten in Afrika zusammen. In Mauretanien trägt der Konzern mit über 500.000 Mark rund die Hälfte der Kosten der Dieldrin- Entsorgung. „In Mauretanien hat die Zusammenarbeit mit Shell eine ganz neue Qualität“, sagt GTZ- Experte Schimpf. „Hier haben wir einen Vertrag mit Shell abgeschlossen, in dem ganz klar steht, daß Shell sowohl die Transport- wie auch die Verbrennungskosten bezahlt, im Rahmen ihrer Produktverantwortung.“
Durch Shells Kostenbeteiligung ist der entsprechende Betrag an deutschen Geldern frei geworden. Er soll nun in den Ausbau des mauretanischen Pflanzenschutzdienstes und den Aufbau eines kompetenten Lagermanagements in Mauretanien fließen.
Denn weiterhin werden große Mengen synthetischer Pestizide nach Afrika importiert. Die neuen Mittel haben allerdings deutlich kürzere Persistenzzeiten und sind viel genauer in ihrer Wirkung. Das GTZ- Team zur biologisch integrierten Heuschreckenbekämpfung in Mauretanien wartet nur auf die nächste Invasion der Schädlinge, um ein biologisches Pflanzenschutzmittel im Feld zu testen.
Die Altlasten aber bleiben. Nach der Dieldrin-Entsorgung bleiben die verseuchten Böden zurück, denn um die Erde abzutragen und nach Rotterdam zu schicken, fehlte das Geld. Außerdem lagern in Mauretanien immer noch schätzungsweise 60 bis 70 Tonnen an anderen Pestiziden, die nicht mehr zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt werden können.
In Afrika lagern 20.000 Tonnen alter Pestizide
Mauretanien ist mit diesem Problem nicht allein. Nach einer Studie der FAO lagern in Afrika rund 20.000 Tonnen alter Pestizide. Erst seit einer Konferenz 1990 in Nigers Hauptstadt Niamey sind diese Altlasten zum Thema geworden. Heute arbeitet die chemische Industrie an einem globalen Programm über Produktverantwortung, das in der Regel wie bei Shell in Mauretanien eine Beteiligung an den Kosten der Entsorgung einschließen soll.
GTZ-Experte Schimpf denkt schon weiter: „Ideal wären drei oder vier regionale Entsorgungszentren für Afrika.“ Dort könnten dann nebenbei auch Industrieabfälle verbrannt werden. Allerdings stößt die Idee teilweise auf erheblichen Widerstand vor Ort. „Unsere relativ kleinen Bestände an Pestiziden wollen wir lieber woanders entsorgen“, meint Fall Moktar, Vizedirektor der Pflanzenschutzabteilung im mauretanischen Landwirtschaftsministerium. „Mauretanien hat kein Interesse daran, Entsorgungsstandort zu sein. Da würden wir Gefahr laufen, unsere Umwelt zu verschmutzen.“
In der mauretanischen Öffentlichkeit wird diese ganze Diskussion sowieso nicht wahrgenommen. Viel wichtiger sind die anhaltende Dürre und die Ausbreitung der Wüste. „Umweltverschmutzung sagt den Leuten hier nicht viel“, meint die Journalistin Hindou Mint Anina von der unabhängigen Wochenzeitung Le Calame. „Die Leute merken zwar, daß das Regenwasser nicht mehr schmeckt oder daß ihre Viehbestände angegriffen sind, aber keiner stellt eine Verbindung zu den chemischen Produkten her.“
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