Weltproletentanz

■ Neu im Kino: „East Side Story“von Dana Ranga

„Mit nackten Beinen kann man die Menschen nicht zum Sozialismus erziehen“, sagt streng ein Funktionär zu einer tanzenden Schönen in einem Revuefilm aus der DDR und bringt damit das Dilemma des marxistischen Musicals auf den Punkt. Den kommunistischen Ideologen war es gar nicht lieb, daß die proletarischen Massen lieber Frauen als Traktoren im Kino sehen wollten, und dieser unüberwindliche Antagonismus macht „East Side Story“, einen Kompilationsfilm mit Ausschnitten aus russischen, ostdeutschen, bulgarischen und tschechischen Musikfilmen, so witzig und interessant.

Schon in den 30er Jahren gab es in der Sowjetunion einen komischen Vogel namens Grigori Alexandrov, der als Eisensteins Assistent nach Hollywood gereist war, dort Charly Chaplin traf und danach mit „Lustige Burschen“ein russisches Musical inszenierte. Dieses wurde natürlich prompt von der Zensur einkassiert, aber nachdem der Film auf Umwegen Stalin persönlich gezeigt wurde, war dieser amüsiert, und ganz Rußland durfte über die tatsächlich witzige Komödie lachen. Später bestellte Stalin bei Alexandrov einen zweiten Musikfilm, und von „Wolga, Wolga“war der Diktator dann so begeistert, daß er mitten im Zweiten Weltkrieg seinem Alliierten Roosevelt eine Kopie davon schenkte. Aber die meisten anderen sozialistischen Revuefilme fanden völlig absurde Lösungen für den Balanceakt zwischen dem massenhaften Bedürfnis nach Unterhaltung und den Vorgaben der Propaganda. So ließ man ständig schöne Frauen in Latzhosen herumhüpfen, die Heuernte einer Kolchose wurde als heroische Tanznummer choreographiert, oder die Wunscherfüllung eines russischen Aschenputtels besteht darin, daß es ganz alleine die mechanischen Webstühle einer Fabrik bedienen konnte.

In der DDR sah dies kaum anders aus. Wenn dort tatsächlich mal mit „Meine Frau macht Musik“ein Schlagerfilm produziert wurde, der auch nicht viel schlimmer war als die bundesdeutschen Schnulzen-Epen der 50er Jahre, hielt ihn die Zensur natürlich unter Verschlag. Und nur weil die Lieder inzwischen zu Hits geworden waren und die werktätigen Massen den Film dazu sehen wollten, mußten die Kulturfunktionäre ihn wohl oder übel in die Kinos bringen, wo er dann zu einem der größten Kassenerfolge der DEFA wurde. Die bundesdeutsche Konkurrenz zwang später die Kulturbürokratie dazu, alle paar Jahre wieder solche sozialistischen Gegenzüge zu produzieren wie etwa eine sächsische Version von „Hair“, in der flotte Ostdeutsche mit ihren Haaren wackeln. Es gab mit Karin Schröder eine „Doris Day des Ostens“,und mit Frank Schöbel den dazu passenden „Zonen-Elvis“. Heute wirkt all dies natürlich extrem komisch, aber nicht alle Filmbeispiele sind so furchtbar. Man spürt darin oft durchaus viel Talent, das dann jeweils um so gründlicher an die Kandare genommen wurde. Sehr unterhaltsam, gut recherchiert und klug wird mit „East Side Story“eine Nische der Filmgeschichte vorgestellt.

Wilfried Hippen

Kino 46, tägl. außer Sa. u. Mi 20.30 Uhr, Sa. 18.30 Uhr