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Aus der Waschküche

Für eine Handvoll Dollar: Das erste „euro-amerikanische underground filmfest“ und die Rückkehr von „no budget“  ■ Von Thomas Winkler

Mit Filmen hatte Stefan Brün noch nie zu tun. Doch dann kam er „wie die Jungfrau zum Kind“ und organisierte in Berlin das erste „euro-amerikanische underground filmfest“. Und das kam so: Der inzwischen 38jährige Amerikaner mit deutschen Eltern gründete ein Off-Theater in Chicago, kam dann 1986 nach Ostberlin, um am Berliner Ensemble als Hospitant an der DDR-Erstaufführung der „Fatzer Fragmente“ mitzuarbeiten. Vor sechs Jahren landete er schließlich endgültig in Berlin, übersetzte den „Fatzer“ ins Englische und brachte ihn 1995 in Chicago auf die Bühne. Worauf ein Typ namens Mark Siska auftauchte, der unbedingt einen Film über diese Inszenierung drehen wollte und das dann auch tat.

Siska, so stellte sich heraus, war im Nebenberuf Miterfinder und -organisator des seit 1993 mit zunehmendem Erfolg stattfindenden „Chicago Underground Filmfestivals“, wo sich Trash-Pornos ebenso finden wie lyrische Kurzfilme oder der in der privaten Waschküche entstandene Splatter – eben alles, was Onkel Sam den Angstschweiß auf die Stirn treibt.

Siska wollte schon einige Zeit mit einem Freund in Krakau etwas Vergleichbares auf die Beine stellen. Auf dem Weg nach Polen machte er des öfteren in Berlin Station, bis er schließlich auf die Idee kam, das gerade mal in grober Planung befindliche neue Filmfest doch auch hier stattfinden zu lassen. Und übrigens auch in Sofia. Brün, der seinem Koregisseur öfter ein Bett zur Verfügung gestellt hatte, wurde als örtlicher Organisator verpflichtet. Nun geht das Festival nach Berlin tatsächlich gleich weiter nach Krakau und Sofia. Im kommenden März findet die Odyssee dann in den geheiligten Hallen des Museums of Contemporary Art in Chicago ihr Ende.

Ein Kino in Berlin war relativ schnell und nur ein paar Ecken von Brüns Wohnung entfernt gefunden. Die Tilsiter Lichtspiele stellten sich mietfrei für die drei Tage zur Verfügung, begnügten sich mit der Hälfte der Eintrittsgelder und kauften für den Anlaß sogar noch einen neuen Video-Beamer, denn viele Beiträge stehen nicht als Film zur Verfügung. Überhaupt ist jedes denkbare Format vertreten, ob 8, 16 oder 35 Millimeter, Beta-S- Video und „jegliche Art von VHS“. Ähnliches gilt für das Inhaltliche: Heute abend stehen die gefilmten Kieztagebücher der Berliner Videogruppe AK Krak friedlich neben einer Dokumentation über die Musikszene Chicagos um Bands wie 11th Dream Day oder Jesus Lizard. Morgen konkurrieren die mit Preisen überhäuften Trickfilme des in Berlin lebenden Moldawiers Valeri Kurtu mit dem Projekt, das für alles verantwortlich ist: Selbst Brün hat den endgültigen Schnitt der „Fatzer Fragmente“ noch nicht gesehen.

Nach einer Linie im Programm zu suchen ist überflüssig, denn Siska hat ein paar handwerkliche Kriterien und ist ansonsten offen für alles. „Es ist nicht alles gut, was wir zeigen“, hat Brün festgestellt, „aber vieles, und an jedem Film ist etwas Interessantes.“ Und auch der Begriff „underground“ ist absichtlich weit gefaßt. „Alles, was nicht auf dem Markt ist“, definiert Brün, „weil es ausgegrenzt, weil es jung oder einfach exzentrisch ist.“ Dieses Segment ist kleiner, als man denken mag, und es ist in den letzten Jahren mit dem Erfolg so vieler Independent-Produktionen noch kleiner geworden.

Noch kommt ungefähr die Hälfte der Beiträge von Siska organisiert aus den USA. Nur durch Mundpropaganda hat der vom Theater kommende Brün die Berliner Beiträge gefunden, hat allen erzählt von den Plänen und ist Hinweisen von Freunden nachgegangen, um dann auf AK Krak und andere zu stoßen. Und konnte dann feststellen, „daß die Filmemacher froh sind, daß es überhaupt so ein Forum gibt“. Die Regisseure schicken die Filme denn auch auf eigene Kosten, und nur wenige können sich die Anreise zum Festival leisten. „Wir machen es so einfach wie möglich“, sagt Brün, der selbst ein wenig Geld in die Organisation gesteckt hat, „damit es nicht so teuer wird.“ Dies ist nicht ,low budget‘, dies ist ,no budget‘. Eher belustigt als resigniert sagt Brün: „Daß alles nicht so rund läuft, liegt am Geld und ist unvermeidlich.“

Im nächsten Jahr möchte dann alles besser werden. Zum einen das mit den Filmen: „Eine Idee war ja auch: Wir machen das dieses Jahr, und im nächsten bekommen wir eine Flut von Filmen.“ Zum anderen das mit dem Geld: „Sponsoren haben uns gesagt, wenn wir es bis nächstes Jahr schaffen, würden sie uns unterstützen.“

Aber das ist Zukunftsmusik, überaus vage zudem. Zuletzt hieß es erst mal warten: Bis gestern, als mit „Sonic Outlaws“, dem programmatischsten und bekanntesten Film des Festivals, eröffnet wurde, hat Brün nervös darauf gewartet, ob denn auch alle Filme rechtzeitig ankommen. Denn bei einem No-budget-Festival muß man mit jeder erdenklichen Unwägbarkeit rechnen. Sicher ist nur eines: Fast alle diese Filme werden zum erstenmal auf deutschem Boden gezeigt werden. Und der Großteil wohl auch zum letztenmal.

Noch heute und morgen, jeweils ab 19 Uhr, in den Tilsiter Lichtspielen, Richard-Sorge-Straße 25a

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