■ Das Portrait: Jung und reformorientiert
Der Mann paßt Präsident Boris Jelzin perfekt ins Konzept: Seit gestern ist Michail Sadornow russischer Finanzminister. Mit seinem Vorgänger Anatoli Tschubais hat der 34jährige viele Gemeinsamkeiten: Er ist jung, reformorientiert und Autor mehrerer Bücher – allerdings ohne dafür auf krummen Wegen überhöhte Honorare kassiert zu haben. Eines aber hat er Tschubais voraus: Sadornow unterhält allerbeste Beziehungen zum russischen Abgeordnetenhaus, der Duma.
In den letzten Monaten hatte die kommunistische Mehrheit im Parlament Jelzin wenig Freude bereitet. Ein Mißtrauensantrag wurde zwar zurückgezogen, doch der Druck blieb und damit auch die Forderung nach der Ablösung von Tschubais.
Sadornow weiß, was es bedeutet, in der Duma Oppositionspolitik zu machen. Seit Januar 1994 Vorsitzender des Haushaltausschusses, gehörte er bislang zur Fraktion „Jabloko“ des Liberalen Grigorij Jawlinskli. Sein Wechsel auf die Regierungsbank bedeutet gleichzeitig das Ende seiner Mitgliedschaft bei Jabloko. Gestern verließ er die Fraktion – ein konsequenter Schritt, da die Partei jede offizielle Zusammenarbeit mit der „durch und durch korrupten Regierung“, wie Jawlinski kürzlich anmerkte, ablehnt. Und so konnte der Jabloko-Mann nach Sadornows Entscheidung, das Ministeramt anzunehmen, auch nicht umhin, zu orakeln: Sadornow werde keine „radikale Änderung“ herbeiführen können, sagte Jawlinski gestern.
Doch die Chancen, daß es anders kommt, stehen gut. Sadornow kennt Regierungschef Tschernomyrdin gut. Auch fachlich ist der studierte Wirtschaftler, dem eine profunde Kenntnis der ökonomischen Probleme des postkommunistischen Rußlands nachgesagt wird, versiert. Ende der 80er Jahre engagierte er sich in der Reformbewegung, wurde Wirtschaftsberater und arbeitete mit am „Programm der 500 Tage“, das die Wirtschaftssituation verbessern sollte.
Sadornow gilt als standhaft, aber nicht ideologisch verbohrt. Sogar die Kommunisten scheinen sich mit seiner Ernennung anfreunden zu können. Als eine der ersten Amtshandlungen wird der neue Minister mit dafür sorgen müssen, daß der Haushalt für 1988 durch das Parlament kommt. Ausgerechnet dessen Vorsitznder, der Kommunist Gennadi Selesnjow machte ihm Mut: Sadornow werde in seinem neuen Amt „erfolgreich“ sein. Barbara Oertel
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