: Abschied vom Chef einer KP-Generation
Die Beerdigung des vorletzten Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Frankreichs zieht weniger Menschen auf die Straße als angenommen. Georges Marchais war umstritten – und bleibt es noch nach seinem Tod ■ Aus Champigny Dorothea Hahn
„Die Partei geht weiter“, erklärt mit knappen Worten Liliane Maillet, die in der letzten Reihe des Trauerzugs hinter dem Sarg von Georges Marchais und den Hunderten von Blumengebinden und Kränzen von Gewerkschaften, Zellen und Betriebsräten zum Friedhof von Champigny-sur- Marne zieht.
Schon in ihrer Jugend ist sie 1966 der KPF „wegen der Suche nach Gerechtigkeit“ beigetreten. Auf einem eckigen Sticker am Revers trägt sie ein schwarzweißes Paßbild des Verstorbenen, von dem aus der letzte große Vertreter der alten Zeit streng in die Welt schaut. Was sich nach seinem Ableben in der Partei ändern wird, vermag sie an diesem Tag nicht zu präzisieren.
Vielleicht traut sie JournalistInnen auch nicht und will es bloß nicht so direkt sagen, wie viele andere GenossInnen in dem Trauerzug. „Die Presse hat jahrzehntelang Kampagnen gegen Marchais gemacht“, erklärt Michel Figoni, Kommunist seit 1963 – „wegen General de Gaulles Lügen über Algerien und dem Verrat des Sozialisten Rocard an der Arbeiterklasse“ – und Arbeiter bei den Pariser Verkehrsbetreiben RATP. „Genau wie unsere Intellektuellen“, ergänzt er, „die haben von dem Leben der Franzosen auch so gut wie keine Ahnung.“
Obwohl Radio und Zeitungen die Uhrzeit des Trauermarsches veröffentlicht haben, sind an diesem verregneten Donnerstagmorgen nur rund 10.000 Menschen in die graue Arbeiterstadt im Osten von Paris gekommen. Fast alle sind Kommunisten, die meisten gehören zur Generation Marchais. „Sieh an, du lebst noch“, ruft ein Weißhaariger mit Schirmmütze einem anderen Alten zur Begrüßung zu. „Ja, aber nur langsam“, antwortet der.
Lizon Souchaud, die seit seit dem zarten Alter von zwölf Jahren in der Partei ist – „meine ganze Familie ist kommunistisch“ –, gehört zu den wenigen jungen Leuten in der Menge. Zusammen mit ihrem 26jährigen Gatten und Genossen Jean-René ist sie aus Poitiers zu der Beerdigung angereist. Beide glauben, daß die „Radikalisierung des Kapitalismus“ jetzt auch die jungen Leute wieder politisiert.
Die 1994 bei seinem Rücktritt gewählte neue Parteispitze, die drei kommunistischen MinisterInnen und die ehemaligen Minister der Partei sind komplett vertreten.
Grüne und Sozialisten, die regierenden Koalitionspartner, haben nur zweitrangige Vertreter geschickt. Premierminister Lionel Jospin, der sich am Montag, dem Tag nach dem Tod Marchais, im Hauptquartier der KPF in die Kondolenzliste eingetragen hat, läßt sich von einem Minister vertreten. Die Grünen haben ihren Sprecher geschickt.
Auch die Chefs der drei großen Gewerkschaftszentralen fehlen. Bloß ein ehemaliger Vorsitzender der damals noch als Transmissionsriemen fungierenden CGT sitzt auf der Ehrentribüne. Auch aus dem Ausland sind fast nur Hinterbänkler gekomen. Kein einziger Staatschef, kaum Parteichefs und niemand von den einstigen eurokommunistischen Freunden aus Italien und Spanien. Auch die konservativen französischen Parteien sind nicht in Champigny. Einzelne Konservative haben ihrem langjährigen Hauptfeind und Mitparlamentarier nach dessen Tod am Sonntag böse Worte hinterhergerufen. „Er hat die Entwicklung seiner Partei gebremst“, kommentierte etwa der Neogaullist Edouard Balladur.
Die Kommunisten, die ihrem alten Chef auf dem Leninplatz und dem Stalingrad-Boulevard von Champigny die letzte Ehre erweisen, sehen das anders. Für sie hat Marchais „den Weg für die heutige Parteiöffnung gebahnt“. Selbst Nachfolger Robert Hue lobt in seiner Abschiedsrede zu Füßen eines gigantischen Marchais-Fotos die langjährige „Übergangspolitik“ des Verstorbenen.
So richtig nimmt dem nunmehr „Nationaler Sekretär“ genannten Parteichef niemand die Kritik ab. Auf der Straße wissen hier alle, daß Marchais, der sich nach 22 Amtsjahren 1994 schweren Herzens von seinem Posten zurückzog, die Entscheidung zugunsten Hues später bedauert hat. Marchais nannte den Neuen, der die „Mutation“ der Partei begonnen und ihn in Windeseile ins Abseits gedrängt hatte, eine „schwere Fehleinschätzung“.
„Marchais, du hast einer Menge Leute mit deinem Ableben einen Dienst erwiesen“, hat ein langjähriger kommunistischer Parteisoldat in das Kondolenzbuch geschrieben. In dem Trauerzug in Champigny erklärt er, daß jetzt „alle Fehler der Vergangenheit auf die Schultern von Marchais geladen werden können und die Clique um Hue deswegen aufatmet“.
Marchais hat 30 Jahre lang mit seiner zweiten Frau Liliane und dem gemeinsamem Sohn Olivier in dem kommunistisch regierten Champigny gelebt. Aus Anlaß seines Todes hat die kommunistisch regierte Stadt rote Fahnen mit Hammer und Sichel, zusammen mit der Trikolore, an die Laternenpfähle appliziert.
Es war Marchais' Wunsch, im Gegensatz zu seinen Amtsvorgängern nicht an die „Mauer der Föderierten“ auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise zu kommen, wo neben den VerteidigerInnen der Pariser Comune auch die kommunistischen Résistance-Kämpfer bestattet sind.
Manche Kommunisten hinter dem Sarg überlegen schon, ob dieser Trauerzug vielleicht die letzte gemeinsame Veranstaltung ihrer Partei bleibt. „Die wollen den Kapitalismus nicht mehr stürzen, sondern überholen“, ironisiert Marcelle Sanitas über die neue Parteiführung. Die alte Dame trat 1920 der KPF bei, kämpfte in der Résistance und war zwischen 1972 und ihrer Verrentung 1981 Sekretärin von Marchais.
Heute gehört sie zu der parteiinternen Oppositionsgruppe „kommunistische Koordination“, die als einzige den 80. Jahrestag der Oktoberrevolution gefeiert hat. „Wenn die sozialdemokratisch werden wollen, dürfen sie nicht auf mich rechnen“, kündigt sie an.
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