: Fünf Millionen Arbeitslose sind für Rexrodt kein Tabu mehr
■ EU-Gipfel verabschiedet vorläufige Unverbindlichkeiten. EU-Ratspräsident im taz-Interview optimistisch
Berlin (taz) – Wirtschaftsminister Rexrodt (FDP) hält fünf Millionen Arbeitslose in diesem Winter für möglich. Zwar sei diese Annahme pessimistisch, aber dennoch nicht auszuschließen, verkündete er gestern. Doch die „Wende“ komme bestimmt, sagte er – allerdings werde sie nicht so deutlich ausfallen wie erhofft. „Dazu brauchen wir mehr Zeit.“ Kanzler Kohl hatte noch vor kurzem einer Verringerung der Jobsuchenden auf zwei Millionen bis zur Jahrtausendwende versprochen. Rexrodt steht mit seiner Prognose nicht alleine. Der Wirtschaftsweise Rolf Peffekoven und der Vorsitzende der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft, Roland Issen, halten fünf Millionen Arbeitslose ebenso für realistisch wie der Chef des Sachverständigenrats zur Begutachtung der wirtschaftlichen Lage, Herbert Hax. Auch die Beobachter des Industrieländerclubs OECD wollen offenbar ihre Schätzung für Deutschland korrigieren: Durchschnittlich 4,4 Millionen Arbeitssuchende sagen sie für das Gesamtjahr 1998 voraus; im letzten Bericht hatten sie noch mit 4,2 Millionen gerechnet.
Auf dem EU-Beschäftigungsgipfel, der am Freitag abend in Luxemburg zu Ende ging, hatte Kanzler Helmut Kohl sich vor allem als Bremser betätigt. Er sorgte dafür, daß die Verpflichtung, Jugendlichen und Langzeitarbeitslosen neue Jobs und Umschulungen zu verschaffen, erst in fünf Jahren umgesetzt werden muß. Doch diese Verabredung wird an der Gesamtzahl der Arbeitslosen auch nichts ändern; sie sorgt lediglich für eine regelmäßige Unterbrechung der Arbeitslosigkeit.
Zwar wurde in Luxemburg auch über eine ökologische Steuerreform debattiert, mit der die Kosten für Arbeit gesenkt werden könnten. Doch wie üblich bestanden die Regierungschefs beim Thema Steuern wieder auf der Autonomie jedes Landes.
Luxemburgs Regierungschef und EU- Ratspräsident Jean-Claude Juncker bewertete das Treffen in einem taz-Interview dennoch positiv: „Wir haben konkrete Maßnahmen beschlossen. Jetzt stehen die Regierungen unter Erfolgszwang.“ Bericht und Interview Seite 9
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