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Das demoskopische Kunstwerk

■ Die russischen Konzeptualisten Komar und Melamid zeigen die beliebtesten und unbeliebtesten Bilder ihrer „People's Choice“ in Köln

Caspar David Friedrich hat den Nerv getroffen. Sein „Einsamer Baum“ ist nicht nur eine Ikone der romantischen, sondern der Volkskunst schlechthin. Was der Meister der Stimmungen nicht wissen konnte, hat jetzt, 200 Jahre später, das russisch-amerikanische Künstlerduo Komar & Melamid wissenschaftlich erwiesen: Per Volksbefragung ermittelte es die beliebtesten und unbeliebtesten Bilder aus 14 Nationen.

„The People's Choice – The Most Wanted and the Most Unwanted Painting“ im Museum Ludwig in Köln zeigt die 28 in Farbe gefaßten Ergebnisse der repräsentativen Umfrage über Format, Farbe, Inhalt und Form. Tier- oder Menschendarstellung, Historienbild, Porträt oder Stilleben, Landschafts- oder Interieurbild, profane oder sakrale und nicht zuletzt: abstrakte oder konkrete Kunst, lauteten die Fragen quer über den Globus.

In erstaunlicher Übereinstimmung, über alle kulturellen Grenzen hinweg, erfreut sich die gebirgige, in sattem Blaugrün schillernde Seenlandschaft der größten Beliebtheit. Nach links schließt ein Bergmassiv die Komposition ab und gibt dem suchenden Blick des Betrachters Halt und Geborgenheit. Schweift er nach rechts, so findet er das altvertraute Motiv des einsamen Baumes wieder: Wie bei Friedrich steht er da, leicht isoliert, als pars pro toto der Natur entrückt und dem Menschen nahegebracht.

Selbst der vielbelächelte röhrende Hirsch findet seine demoskopische Bestätigung: In den USA, Island und Deutschland gehört er zur Grundausstattung, in Kenia erscheint er als Nilpferd, in China als Büffel und in Rußland als Bär. Mit der landesüblichen Pflanzen- und Tierwelt wandelt sich auch die übrige Staffage: Die Dänen bevorzugen Primaballerinen am Gebirgssee; die Finnen sehen am liebsten einer Familie bei der Arbeit zu; und die Portugiesen erfreuen sich an einer barbusigen, blondgelockten Badenixe. Auf der Basis der statistischen Erhebung kommentieren die beiden Künstler mit feiner Ironie die nationalen Eigenheiten und gehen damit weit über die bloße Versinnbildlichung repräsentativer Ergebnisse hinaus.

Seit 30 Jahren arbeiten Vitali Komar und Alexander Melamid, beide Mitte der vierziger Jahre in Moskau geboren, gemeinsam im bewußten Verzicht auf eine individuelle künstlerische Handschrift. Als Markenzeichen hat der ekklektizistische Stilpluralismus das 1978 in die USA ausgewanderte Duo in den Dienst einer gesellschaftskritischen, ironisch im Spielfeld der Stile kommentierenden Kunst gestellt.

„The People's Choice“ ist ihr bisher langwierigstes und umfangreichstes Unternehmen, allein in Deutschland wurden knapp 1.000 Personen von einem Meinungsforschungsinstitut befragt, und so sind die Ergebnisse auch Teil des Gesamtkunstwerks. Als dreidimensionale Säulen der Demokratie stehen die Prozenttürme im Vorraum zur Ausstellung Spalier. Demoskopie als Monumentalplastik.

Dabei spiegelt sich deutsche Unentschiedenheit im Ergebnis wider: Landschaft sowohl als auch Interieur, Stilleben wie Porträt, Sommer und Winter – eindeutige Präferenzen gibt es nicht. Hinter einer mittelalterlichen Arkade erblickt man nun eine frühlingswarme, halbverschneite Landschaft mit Mann und Katze (in obligatorischer Rückenansicht), zwischen ihnen ein Kaffeehaustischstilleben. In seinen Händen hält der Müßiggänger im Freizeitlook ein Porträt ganz im Stile Picassos, laut Umfrage einer der bekanntesten unter den großen Meistern neben Rembrandt und Dali.

Spitzfindig auch die Inszenierung des anderen Extrems, der unbeliebtesten Bildwerke. Fast ausschließlich gegen die abstrakt-konstruktivistische Kunst richtet sich hier die globale Abneigung. Bloß in den Formaten variiert sie extrem zwischen Buch- und Wandgröße, wogegen die Lieblinge sich fast alle im praktikablen Wohnzimmerbildformat bewegen. Nicht minder ironisch auch hier der Kommentar nationaler Eigenheiten: Keines der ungeliebten abstrakten Gemälde ähnelt den russischen Konstruktivisten so sehr wie das russische. Veronika Schöne

Bis 30. 11., Museum Ludwig, Köln. Der Katalog (Cantz-Verlag) kostet in der Ausstellung 29 DM

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