: Rentner wegen Beihilfe zum Mord an Juden vor Gericht
■ Der 75jährige Ernst H. soll an der Selektion und der Ermordung von bis zu 65 Juden beteiligt gewesen sein. Weil er zur Tatzeit erst 19 Jahre alt war, wird vor der Jugendkammer verhandelt
Köln (rtr) – Wegen Beihilfe zur Ermordung von Juden in der Ukraine während des Zweiten Weltkriegs muß sich seit gestern ein 75jähriger Rentner vor Gericht verantworten, genauer: vor der Jugendkammer des Kölner Landgerichts. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, als 19jähriger an der Selektion und der späteren Ermordung von 40 bis 65 Juden im ukrainischen Israilowka beteiligt gewesen zu sein. Unter den Opfern sollen auch 20 Kinder gewesen sein.
Staatsanwalt Andreas Brendel von der Zentralstelle für die Verfolgung von NS-Verbrechen in Dortmund sagte, der Angeklagte habe zwar nicht selbst getötet, aber „Mordhilfe“ geleistet. Ernst H. habe als Mitglied einer Hilfspolizeitruppe bei der Absperrung des überwiegend von Juden bewohnten ukrainischen Weilers mitgewirkt und die Erschießungsaktion bewacht. Etwa drei Dutzend jüdische Frauen und Männer seien damals vor einem zuvor ausgehobenen Loch mit Genickschuß ermordet worden. Später habe der Angeklagte dann noch etwa 20 jüdische Kinder auf einem Pferdefuhrwerk zu dem Massengrab begleitet. Dort seien auch die Kinder erschossen worden. Bei dieser Ermordung habe der 1922 in Westpreußen geborene Mann als Wachposten fungiert.
Der Angeklagte, der am ersten Verhandlungstag seinen 75. Geburtstag feierte, hatte bereits vor Prozeßbeginn seine Unschuld beteuert. Zwar sei er am Tatort gewesen. Doch habe er nicht geschossen. Außerdem habe er Befehlen gehorchen müssen. „Die Großen läßt man laufen, die Kleinen hängt man“, klagte er. Zu den Vorgängen selber meinte er: „Das war eine Schweinerei damals.“
Vor Gericht sagte Ernst H., er sei in Israilowka aufgewachsen, in die jüdische Schule gegangen und habe auch mit jüdischen Kindern auf der Straße gespielt. Vor der deutschen Besatzung sei das Zusammenleben problemlos gewesen. Doch habe sich dies danach schnell geändert.
Der Angeklagte war am 18. Mai 1995 unter der Beschuldigung der Beihilfe zum Mord verhaftet worden. Der gegen ihn erlassene Haftbefehl wurde jedoch außer Vollzug gesetzt. Mit einem Urteil ist vermutlich erst im kommenden Jahr zu rechnen. Der Prozeß wird wahrscheinlich einer der wenigen sein, die überhaupt noch, 52 Jahre nach Kriegsende, durchgeführt werden. Insgesamt 39 Ermittlungsverfahren wegen Mordes und Kriegsverbrechen sind noch bei der Dortmunder Zentralstelle für NS-Verbrechen anhängig, darunter auch ein Ermittlungsverfahren gegen den in Italien wegen der Ermordung von 335 Geiseln von einem römischen Militärgericht im Juli 1997 verurteilten ehemaligen SS- Hauptsturmführer Erich Priebke. Von den bis heute insgesamt 1.329 Ermittlungsverfahren, die in Dortmund geführt wurden, kam es lediglich in vier Prozent der Fälle zu einer Anklageerhebung. Die anderen Verfahren wurden ergebnislos eingestellt.
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