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Professor Miegels bittre Medizin

■ Bayerisch-sächsische Zukunftskommission legt Abschlußbericht vor. Auf dem Weg zur "unternehmerischen Wissensgesellschaft". Wirtschaftsexperte Miegel für soziale Einschnitte

Berlin (taz) – Die Spezialisten hatten wohl selbst den Eindruck, eine bittere Medizin zu verschreiben. Rezepte gegen die Arbeitslosigkeit wollte die gemeinsame Zukunftskommission der Freistaaten Sachsen und Bayern gestern in ihrem Abschlußbericht präsentieren, und die Experten beeilten sich vorauszuschicken: „Jede Vorgehensweise hat unerwünschte Nebenwirkungen, die jedoch unvermeidlich sind.“

Die Vorschläge der Kommission unter dem Vorsitz von Professor Meinhard Miegel laufen auf schmerzhafte Einschnitte in den sozialen Besitzstand der meisten Bundesbürger hinaus. Staatliche Leistungen müßten „eingeschränkt oder sogar eingestellt werden“, heißt es in einem der 16 Leitsätze, und auch auf individuellen Konsum gelte es zu verzichten.

Die Zukunft der Arbeit liege in einer stärkeren Differenzierung und gegebenenfalls Senkung von Arbeitseinkommen. Der Bericht favorisiert die Verkürzung der individuellen Wochen- wie Lebensarbeitszeit ohne Lohnausgleich und empfiehlt mehr Teilzeitarbeit sowie geringfügige Beschäftigung. Allerdings behinderten derzeit mentale und steuerliche Barrieren die notwendige Vermehrung „einfacher, personenbezogener Dienste“, womit etwa Kellner, Hausmädchen und private Wachdienste gemeint sind.

Die Ministerpräsidenten Edmund Stoiber und Kurt Biedenkopf, die den Bericht auf einer gemeinsamen bayerisch-sächsischen Kabinettssitzung am Dienstag in Dresden entgegennahmen, hatten die Zukunftskommission vor knapp drei Jahren eingesetzt. Der politische Zweck des 6-Millionen- Mark-Projekts bestand nicht zuletzt darin, Analysen zur Lage der Bundesrepublik vorzulegen, mit denen sich die Auftraggeber aus München und Dresden bundespolitisch profilieren konnten. Die Zusammensetzung der Kommission, so Stoiber 1995, sollte „ein breites politisches Spektrum repräsentieren“. Ihr gehören neben dem deutschen McKinsey-Chef Henzler und dem Unternehmensberater Roland Berger auch der Soziologe Ulrich Beck und der Ökosystemforscher Frederic Vester an.

Zur Frage der Folgen ihres Berichtes formuliert die Kommission zurückhaltend: „Ob und in welchem Umfang ein Absinken des Lebensstandards vermieden werden kann, wenn viele gering bezahlte Arbeitsplätze entstehen, ist letztlich politisch zu entscheiden.“ Die Konsequenzen sind in jedem Fall problematisch, suggerieren die Experten. „Werden Niedriglöhne durch öffentliche Transfers auf oder über das heutige Sozialhilfeniveau gehoben, führt es wahrscheinlich zu zusätzlichen Belastungen der öffentlichen Haushalte.“ Würden die Niedriglöhne hingegen zum Regelfall, „nimmt die wirtschaftliche und soziale Ungleichheit zu, und gesellschaftliche Spannungen wachsen“.

Das Bild der Zukunft, das die neun Kommissionsmitglieder in ihrer Studie entwerfen, geht von einer „unternehmerischen Wissensgesellschaft“ aus, die auf die „arbeitnehmerzentrierte Industriegesellschaft“ der Nachkriegszeit folge. Die Beschreibung der gesellschaftlichen Veränderungen fällt allerdings eher sloganhaft aus: Deutschland brauche mehr Innovationen und Investionen sowie „neue kollektive Leitbilder für unternehmerisch handelnde Menschen“. Patrik Schwarz

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