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■ VorschlagDas „Always crazy“-Phänomen: The Prodigy rocken die Arena

Es grenzt fast an ein Wunder, daß diese Band, die vor langer Zeit als Rave-Act in UK geliebt wurde, jetzt als Cross-over-Act begrüßt wird. Nicht nur hat es Keith Flint mit seinen punkigen Feuermelderhaaren auf jedes britische Magazin-Cover geschafft, die Band ist derart szeneübergreifend akzeptiert, daß man in der Arena neben denen, die sehnsüchtig an Raves und Love and Peace denken, auch die Schienbeintätowierten Rage-Against-The-Machine-Fans und die Breakbeat-Clubber erwarten kann. Nur Chumbawumba-Fans sollten sich auf dem Konzert nicht erwischen lassen – immerhin hat ihre Band die Texte von Prodigy gerügt: „Smack my bitch up“ sei sexistisch.

Das ist überhaupt ein etwas verstörendes Phänomen dieser Band, daß Text und Musik sich so perfekt mit der Figur des „Always crazy“-Flint zu decken scheinen, daß der wirkliche Macher und Denker, Schreiber und Musiker aber Liam Howlett, der zurückhaltende Blonde, ist. Daß zu dessen Musikvorlieben vor allem Grunge und Crossover zählen, ist dem Groove von Prodigy schon anzufühlen. Prodigy ist zwar Dance, ist repetitiv und arbeitet mit Maschinen- und Menschenlärm. Aber dennoch kann man sich vorstellen, daß die Körper der TänzerInnen darauf eher mit einem moshenden Pogo fastforward reagieren als mit ausdrucksstarken Handverrenkungen.

Keith Flint ist eben auch viel mehr Reinkarnation von Johnny Rotten als unsichtbarer Rave-DJ. Er ist der „Antichrist“ der Neunziger, der Fashion Punk mit den schnellen, bangenden Kopfbewegungen, der Firestarter. Daneben der Katzenaugenkontaktlinsenträger Maxim, der mehr den eleganten, hippen Teil der Band verkörpert. Fast schon ein Boygroup-Prinzip, das durch Leeroy Thornhill als eleganten Konsensmann komplettiert wird: der richtige Bart, die richtigen Klamotten, das richtige Lächeln. Prodigy also als Synthese aus elektronischer Club-Musik und dem Energiebällchen- Band-Ding authentischer Stadienfüller. Daß Keith Flint findet, der Mainstream habe sich an sie angenähert und nicht andersrum, verwundert wenig. Dabei hatten sie mit ihrem ersten großen Hit „Charly“, einem spielzeugstimmengepitchten Euro-Trash-Stück, ihren Bonus schon verspielt. So richtig zum Aushalten ist dieser Hybrid von „Wir wollen rocken“-Elektrikern nicht. Annette Weber

Heute, 20 Uhr, Arena, Eichenstraße 4, Treptow.

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