Pitbull-Kämpfe in der Friedhofsruhe

Der Neue Thomaskirchhof in Neukölln ist zum Treffpunkt für scharfe Hunde und ihre Besitzer geworden. Mitarbeiter und Anwohner berichten von Hundekämpfen und Schießereien. Für die Polizei ist der Ort „Brennpunkt“  ■ Von Barbara Bollwahn

Werner Braun* zuckelt in seinem kleinen Bagger über den Friedhofsweg. Plötzlich steigt er auf die Bremse. Von rechts kommen zwei Pitbulls angeschossen. Der Friedhofsmitarbeiter ist sichtlich froh, in einem geschlossenen Fahrzeug zu sitzen. Er wartet, bis sich die Hunde getrollt haben und fährt seine Fuhre Laub auf den Müllplatz im hinteren Teil des Geländes.

Braun hat sich an die unliebsamen Besucher gewöhnt. Doch Angst hat er noch immer. Seit einem Jahr wird die Friedhofsruhe auf dem Neuen Thomaskirchhof in Neukölln, wo seit 1988 nicht mehr beerdigt wird, von Hundehaltern gestört. Tagsüber kommen sie mit ihren Pitbulls, Rottweilern und Mischlingen auf den hinteren Teil des Friedhofs, der eine einzige große Wiese ist und direkt an eine Startbahn des Flughafens Tempelhof angrenzt. Ein idealer Platz zum Auslaufen und Gassi machen, finden sie. Doch die Anwohner klagen: Nachts würden regelrechte Hundekämpfe stattfinden und Pitbulls scharf gemacht.

Der Friedhofsangestellte Braun weiß ein Lied davon zu singen. „Wenn wir hier sind, hält sich das in Grenzen“, sagt er. Doch wenn es dunkel wird, „dann ist Polen offen“. Am Anfang habe er noch versucht, mit den Hundehaltern, die tagsüber auf das Gelände kommen, zu reden. Sie sollten doch wenigstens ihre Hunde an die Leine nehmen. „Doch man bekommt nur dämliche Antworten oder die werden aggressiv.“ Ein anderere Friedhofsmitarbeiter erzählt, daß im August ein totgebissener Hund gefunden wurde. „Den haben wir dann hier begraben.“

Seit einem Jahr beschweren sich Anwohner über die Störung der Friedhofsruhe. Romy und Jürgen Gräber, die direkt neben der Friedhofswiese wohnen, wurden in den Sommernächten unfreiwillige Ohrenzeugen des nächtlichen Treibens: „Wenn wir auf dem Balkon sitzen, hört man Hundegejaule. Man hört, daß die abgerichtet werden“, erzählt Romy Gräber. „Wir haben sogar Angst, zu gucken“, ergänzt ihr Mann. Seine Geduld ist am Ende. „Wenn der Zaun oben repariert ist, wird er unten wieder aufgerissen“, berichtet er. „Ich bin jetzt radikal“, gibt er zu. „Da hilft nur noch ein Zaun mit ein paar Volt.“

Peter Dorn, der fünf Friedhöfe der evangelischen Kirche in Neukölln verwaltet, fühlt sich machtlos. Mittlerweile gingen „fast täglich“ Beschwerden von Besuchern und Anwohnern bei ihm ein. „Zum Teil trauen sich die Angehörigen nicht zu den Gräbern“, erzählt er. Aber „von meinen Leuten mischt sich aus Angst keiner ein“. Funkwagen würden in der Regel erst nach einer Stunde eintreffen.

Außerdem habe es in den letzten Monaten eine Reihe von Schikanen wie zugeklebte Schlösser und Einbrüche gegeben. Zweimal schon wurde aus dem Verwalterhäuschen die Kassette mit Bargeld gestohlen. „Und das bei vergitterten Fenstern“, ärgert sich Dorn. Mittlerweile registriert der Verwalter jeden Monat einen Einbruch pro Friedhof.

Trotz eines Treffens im August mit der Polizei hat sich bisher nichts geändert. „Die Polizei hat den Anwohnern geraten, direkt einen Funkwagen zu rufen“, so Dorn. Der Besuch bei Bezirksbürgermeister Bodo Manegold (CDU) im vergangenen Jahr ist ebenfalls fruchtlos geblieben. Auf eine mündliche Anfrage in der Bezirksverordnetenversammlung vor wenigen Wochen antwortete er, daß dem Bezirksamt bekannt sei, daß der Friedhof als „Hundeauslaufplatz und Veranstaltungsort für Hundekämpfe“ benutzt werde. Das Bezirksamt verurteile zwar „dieses pietätlose Verhalten“, hieß es in der Antwort weiter, „sieht jedoch keine Möglichkeit, dagegen vorzugehen.“ Manegold schiebt den Schwarzen Peter dem Eigentümer der Kirchhöfe an der Hermannstraße, der evangelischen Kirche, zu. „Deren Verwaltungskommission ist bemüht, die Zustände mit Unterstützung der Polizei und durch die Installation neuer Zaunanlagen zu beenden“, teilte Manegold mit.

Zuletzt wurde der Zaun vor einem Monat repariert. „Die müssen mit dem Bolzenschneider kommen“, vermutet ein Friedhofsmitarbeiter. An einigen Stellen im hinteren Friedhofsteil fehlen ganze Teile des Drahtzaunes. Selbst während der normalen Öffnungszeiten – in den Sommermonaten wird um 20 Uhr, im Winter um 16 Uhr geschlossen – benutzen viele Hundebesitzer den schadhaften Zaun als Eingang, denn Hunde auf dem Friedhof sind verboten. So wie Achim, Anita und Agnes, die mehr oder weniger regelmäßig mit ihren Hunden auf die Friedhofswiese kommen. Agnes (23) mit ihren Pitbulls „Kim“ und „Poison“, Anita (27) mit ihrem Pitbull „Baxley“ und Achim (42) mit seinem Rottweiler „Basko“ und einem Mischling. Doch die drei verwehren sich gegen den Vorwurf, die Friedhofsruhe zu stören. Sie schwören, daß ihre Hunde ungefährlich seien. „Meiner würde sogar mit einem Meerschweinchen spielen“, erzählt Achim.

Die drei geraten schnell ins Schwärmen: Achim lobt die „Ausdauer“ der Pitbulls, Anita ihre „Unterordnung“. Agnes ist begeistert, daß sie „bis zu eintausend Kilo Gewicht“ ziehen können. „Die würden sogar für Frauchen oder Herrchen sterben“, strahlt sie. „Deshalb werden sie zum Kämpfen benutzt.“ Die Beschwerden von Friedhofsbesuchern und Anwohnern können sie nicht verstehen. „Wir sind doch nur hier hinten, wo keine Gräber sind“, verteidigt sich Anita. „In die Hasenheide dürfen wir nicht, in den Körnerpark auch nicht“, beklagt sich Agnes. „Hundesteuern werden abgezockt, aber wir haben keinen Platz für unsere Hunde.“

Mit den nächtlichen Umtrieben wollen die drei nichts zu tun haben. „Es muß nicht sein, daß die Hunde im Dunkeln aufeinandertreffen“, sagt Anita. Trotzdem wissen die drei allerhand zu berichten: Agnes hat von einer toten weißen Dogge gehört, die auf dem Friedhof begraben wurde. Achim erzählt von Schüssen und einem Kumpel, der Patronenhülsen gefunden hat. Einmal hätten sogar vier junge tote Pitbulls in den Abfallkörben gelegen. Auch die privaten Wächter Guardian Angels hätten sich im Sommer um Wiederherstellung der Friedhofsruhe bemüht. Vergeblich.

Viel mehr interessiert Achim sein Rottweiler, der im Sommer auf der Friedhofswiese von einem Pitbull gebissen wurden. Noch heute wartet er auf die Begleichung der Tierarztrechnung. Der Halter des Pitbulls sei ein Jugoslawe, der seinen Hund stets frei rumlaufen lasse. „Jeder Hundebesitzer hier hatte schon Ärger mit ihm“, ergänzt Anita. Doch wegen „einem Spinner, der immer nur Scheiße baut“, könne man doch nicht alle Pitbull-Besitzer über einen Kamm scheren.

Die Polizeidirektion 55 hat für den Neuen Thomaskirchhof einen „Brennpunktbefehl“ entwickelt. Die Chronologie der Ereignisse ist bunt gemischt: Im Februar wurden Grabsteine beschädigt, im Mai wurde zweimal im Friedhofsblumenladen eingebrochen, im Juni gab es einen „gefährlichen Eingriff in den Luftverkehr – Unbekannte schossen mit einer Signalrakete auf landende Flugzeuge. Im Oktober schließlich wurden Flugsicherheitseinrichtungen auf dem hinteren Friedhofsteil beschädigt. „Es scheint eine hohe Dunkelziffer zu geben“, vermutet der Einsatzleiter der Direktion, Wolfgang Erhardt. Anders kann er sich die Erfolglosigkeit der nächtlichen Polizeieinsätze im Sommer mit „Diensthundeführern in bürgerlicher Kleidung“ nicht erklären. Nach wie vor würde die Polizei mehrfach im Monat, auch nachts patrouillieren. „Doch wir können nicht ständig da sein“, so Erhardt.

*Namen von der Redaktion geändert