Die Stadt, die ein Modem ist

■ Die Künstlerin Carey Young führt die Netzmetapher auf ihren technischen Ursprung zurück

Computernetze, so schlecht sie auch immer noch funktionieren, sind zur Metapher der Freiheit geworden. Alles scheint möglich unter der digitalen Sonne aus Kalifornien, und so ist es nur konsequent, wenn Bill Gates, der geschäftstüchtigste unter den Computernarren, seine Kunden mit dem ihm eigenen Hang zum Größenwahn fragt: „Where do you want to go today?“ Kritiker warnen vor einem neuen Kolonialismus. Das Netz ist überall, und es scheint sogar zum Schicksal der Kunst zu werden. Auch sie kann sich nicht entziehen, die Faszination ist zu groß.

Aber was ist Kunst im Netz? Die Frage ist nicht besser als Gates' Frage, wohin wir heute gehen wollen. Sie verspricht eine Grenzenlosigkeit, die immer nur zu enleerten Antworten führen kann. Es ist egal, wohin wir gehen. Vielleicht gehört britische Kühle dazu, für die Kunst die Frage umzudrehen. Sie lautet dann: „Was ist das Netz in der Kunst?“

Darauf kann man antworten, das Netz hört auf, der je nach Geschmack als Befreiung bejubelte oder Verhängnis verdammte Rahmen für alles andere zu sein. Es wird zum Thema. Es ist keine Metapher. Es besteht aus technischen Knoten, und jeder einzelne muß gelöst werden. So versteht es Carey Young, die auf ihrer Website unter stingray.ivision.co.uk: 8080/am3/carey/wedam/corbusier 3.html Bill Gates Frage zitiert. Mit Ironie, wie sich versteht, aber auch durchaus in der ernsthaften Absicht, sie zu beantworten.

Carey Young ist außerdem auf der Website des unterkühlten Heath Bunting zu Gast (www .irational.org). Um sich soweit wie möglich von jeder kalifornischen Ideologie zu entfernen, geht sie noch über die Reduktion aller Netzmetaphern auf Straßenpläne und Verkehrszeichen hinaus, für die Bunting überall gerühmt wird. Für Carey Young beginnt das Netz noch weiter unten, nicht bei den Verbindungen, sondern beim Modem, das die Signale eines Computers in eine gewöhnliche Telefonleitung überträgt.

Hier liegt der private Schlüssel zum öffentlichen Cyberspace. Carey Young hat den Schaltplan eines Modems studiert und war womöglich gar nicht mehr überrascht, daß er auffallend einem Stadtplan gleicht. Wohlgeordnet liegen die Chips nebeneinander, verbunden durch Kabelstraßen. Diese Metapher nun, eingebrannt in die Innereien eines Computerbauteiles, nahm sie so wörtlich, wie es nur ging – das ist die sicherste Art, Metaphern zu entfliehen. Sie legte die Blaupause des Modems auf den Plan eines Stadtteils namens Grafton. Die elektronischen Symbole bezeichneten jetzt Altbauten, neue Verwaltungspaläste, einen Bahnhof: Alles paßte zusammen und war mit Straßen verbunden.

Mit diesem Vexierbild in der Hand machte sich Carey Young auf den Weg durch ihr neues Grafton. Die Gebäude waren Modulatoren, Zerhacker, Filter und ähnliches geworden. Auf Backsteinmauern, Glasfassaden, Portale und Straßenkreuzungen schrieb sie mit Kreide die passenden Namen. Das Kunstwerk „Air Mosaic“ entstand zu Fuß, auf der Website endet die erste Bildersequenz mit dem Satz: „Hier stehe ich mitten in meinen eigenen Cyberspace.“

Ein Witz zweifellos – und ein Stück Konzeptkunst, das seine Vorbilder hat, aber auch noch mehr als nur das. Carey Youngs Marsch durch das Modem von Grafton läßt sich mit der Maus nachvollziehen. Die Links führen unerbittlich von Station zu Station, die Kreidemarkierungen heben mal groteske, mal melancholische Einzelheiten eines Stadtteils ohne Eigenschaften ins Blickfeld. So also sieht das globale Dorf der Netzbürger aus. Die Frage „Where do you want to go today?“ jedenfalls führt sich selbst an der Nase herum. Denn ein Modem hat nur zwei Ausgänge: einen zum Netz und einen zum Terminal. Aber am Ende des Netzes hängt wieder ein Modem, deshalb läßt Carey Young den Besuchern ihrer Website nur die Wahl, in welche Richtung sie die Reise antreten wollen. Tatsächlich ist es aber egal, wo sie anfangen. Sie gehen immer im Kreis. Niklaus Hablützel

niklaus@taz.de