Polizei liest nicht im Kaffeesatz

■ Über einhundert Beamte auf einer Diskussion über Fremdenfeindlichkeit bei der Polizei: Statt die Gründe zu diskutieren, beklagten sie, daß sie nicht befördert werden, wenn gegen sie ermittelt wird

Hin und wieder sorgt die Polizei für positive Überraschungen. Daß der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) zu einer Dikussion mit einem Chefermittler von amnesty international (ai) über Fremdenfeindlichkeit bei der Polizei einlädt, hat Seltenheitswert. Daß weit über einhundert Beamte nach Dienstschluß zu der Veranstaltung am Mittwoch abend gekommen sind, obwohl ai speziell in Berlin eine unabhängige Aufklärungsarbeit bei Verfahren gegen Polizisten anmahnt, ist erfreulich. Ist die Polizei doch besser als ihr Ruf?

Weit gefehlt. Die starke Präsenz der Ordnungshüter im Saal der IG Medien in der Dudenstraße war nicht auf ein Interesse an dem Thema zurückzuführen, warum es so viele Ermittlungsverfahren gegen Polizisten gibt. Grund ihres zahlreichen Erscheinens war vielmehr ein Stück Papier, das ihre Teilnahme als „Beförderungsfortbildung“ bestätigt. Eine kleine Sprosse auf der Karriereleiter. Niedere Beweggründe also.

Obwohl Michael Butler, der für amnesty international Polizeiübergriffe in Deutschland untersucht, Rechtsanwalt Joachim Ehrig und die Journalistin Vera Gaserow mehrfach betonten, daß es nicht um einen Generalangriff gegen die Polizei gehe, sondern darum, daß jeder Fall ein Fall zu viel ist, fühlte sich die Mehrheit der Polizeischüler und Beamten persönlich angegriffen. Der Korpsgeist, der bei den wenigen Verfahren gegen Polizisten wegen Übergriffen auf Ausländer oft eine Verurteilung trotz guter Beweislage unmöglich macht, war förmlich zu spüren.

Die Ausführungen des ehemaligen Oberstaatsanwaltes Carlo Weber, der in Berlin viele Fälle von Mißhandlungen und Körperverletzungen im Amt bearbeitet hat und jetzt bei der Staatsanwaltschaft Neuruppin tätig ist, war Wasser auf ihre Mühlen: Allein die Zahl der rechtskräftigen Verurteilungen zähle, sagte er. Alles andere sei „Lesen im Kaffeesatz“. Auf die Proteste von Anwalt Ehrig, der jahrelang der Vereinigung der Berliner Strafverteidiger vorstand und weiß, wie schwer es ist, ein Verfahren gegen Beamte zur Anklage zu bringen, reagierte Weber mit einer Reihe von Zugeständnissen: „Ich räume gerne ein, daß die Zahl der Übergriffe höher ist als die der rechtskräftigen Verurteilungen“, sagte er. „Natürlich“ gebe es „Korpsgeist in einem bestimmten Umfang“ bei der Polizei. Und „natürlich“ sei „die Verführung größer, Schwächere, wie illegale Ausländer, anzugreifen als einen Professor mit Reputation“. Es könne auch sein, daß Sachverständigengutachten in der Praxis „in der Regel keine Rolle spielen“. Zugeständnisse, die er machte, um sie gleich wieder zurückzunehmen: Das Jonglieren mit einem „kriminogenen Faktor“ in unbekannter Höhe würde dazu führen, daß viele Beamte „mächtig frustriert“ seien. Das kam an beim Publikum. Im übrigen „könnte man sich fast wundern, daß das Problem nicht noch größer ist“, drehte Weber den Spieß um und forderte „die Wiederherstellung der staatlichen Autorität“. Dann würde die Fremdenfeindlichkeit „deutlich zurückgehen“.

Der Landesvorsitzende des BDK, Holger Bernsee, bekam noch mehr Applaus, weil er ein ganz anderes Übel ausmachte: Es sei zu einer „Täter- und Verteidigerstrategie“ geworden, einschreitende Beamte anzuzeigen wegen Sachen, die „oft völlig aus der Luft gegriffen“ seien, klagte er. Das sei eine „ganz, ganz schlimme Situation für junge Beamte“. Der Grund: Während der Verfahrensdauer gibt es keine Beförderungen. Schon allein wegen dieser „Karriereblockade“ würden „viele Beamte ihre Aggressionen nicht illegal austoben.“ Barbara Bollwahn