: Ohne den übermächtigen Feind läuft gar nichts
■ Schatten des Kanzlers, mit deutlicher Bindung an den heimatlichen Wedding: Martin Buchholz und sein neues Programm „Akte Icke – ein Alien packt aus“ in den Wühlmäusen
Als das Wünschen noch geholfen hat, da konnte ein Mann auf dem Brettl die Mächtigen mit bloßen Worten das Fürchten lehren. Da war es noch subversiv, wenn einer sagte: „Ich bin ein undeutsches Element.“ Da stand Aufklärung gegen deutschen Stumpfsinn, gut gegen böse. Goldene Kabarett- Zeiten. Vorbei, verweht, vorüber.
Martin Buchholz verkörpert das traditionelle politische Kabarett der Bundesrepublik wie kaum ein anderer. Der Meister des Wortes setzt in „Akte Icke – ein Alien packt aus“ allein auf die Kraft der Rede, anders als in den letzten Programmen verzichtet er völlig auf Musik und sonstige Ablenkungen. Auf der Bühne: ein Mann in Schwarz, sein Stehpult und sonst gar nichts. „Kein Glas Wasser – des isch unglaublich“, staunt ein schwäbischer Besucher. Keine Frage, schon die rein physische Leistung des Schnellredners ist beeindruckend und die Pointendichte enorm. Schon in seinem kollernden Knittelvers-Prolog setzt Buchholz zum Rundumschlag an: Hintze, Schröder, „das Diepgen“ und natürlich Kohl werden ins Horrorkabinett gedichtet.
Das Tempo kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß einige Kalauer sich den Ruhestand redlich verdient haben. Witze über die „doppelte Nullösung“ dürften inzwischen ziemlich genau so alt sein wie Kohls Regentschaft. Übrigens steht Martin Buchholz seit genau 15 Jahren auf der Bühne. Zufall?
Über seine Fixiertheit auf den Kanzler ist schon viel geschrieben worden. Die auch diesmal wieder gestellte bange Frage „Gibt es ein Leben nach dem Kohl?“ ist nur scheinbar ironisch, in Wirklichkeit aber existentiell für Buchholz: Er ist der Schatten eines Kanzlers, der durch Worte nicht verwundbar ist, die Mücke, die das dicke Fell des bräsigen „Elephantenmanns“ nicht durchdringen kann, der Don Quichotte, der gegen „Helmutanten“ kämpft. Ohne den übermächtigen Feind ist Buchholz gar nichts.
Schon jetzt scheint unter der munteren Berliner Fassade des Kabarettisten Müdigkeit durch. Er kommt als vitaler Satyr daher und lockt sein Publikum derb zum „satirischen Koitus“. Der „Außergermanische“ ist in Form, er redet gut und charmant, und er hat sogar ein paar Comedy-Elemente in sein Programm aufgenommen, nette Anekdoten über Geburt und Werdegang des jungen Martin aus dem Wedding. Und doch fehlt ihm die Leichtigkeit, man spürt die harte Arbeit am Witz. Der Kämpfer auf dem Brettl ist müde – und keine gute Fee in Sicht. Miriam Hoffmeyer
Die Wühlmäuse, Nürnberger Straße 33, Di-Fr 20 Uhr, Sa und So 18 Uhr, bis 31. 1. 1998
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