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■ Pro: Der Studentenprotest wird sich nicht einfach befrieden lassenDie Rebellion der Unpolitischen

Sind die Studentenprotestler so politisch wie die 68er? Was für eine Frage! Die großväterlichen Besserwisser kennen die Antwort doch längst: Die Studis wollen eh nur Geld. Glücklicherweise wird die Frage in Unkenntnis der politischen Soziologie gestellt. Aus zahlreichen Untersuchungen weiß man: Erstens, die StudentInnen gibt es nicht. Zweitens findet sich stets ein hochaktiver Anteil von rund drei Prozent, um den herum sich eine zehn Prozent starke Gruppe schart, die für Mitarbeit und Mobilisierung offen ist. Der Rest ist eher weniger politisch interessiert.

Das Brisante an den jetzigen Protesten ist, daß die vermeintlich Unpolitischen die Seminare boykottieren und auf die Straße gehen. Glücklich, wer glaubt, daß diese betrogenen Bürgerkinder nicht den Grips haben, die billigen Umarmungsversuche von Kohl & Co. zu erkennen. In dem sich jetzt formierenden Protest steckt ein ungeheure Sprengkraft: Was, wenn jene schweigenden, unpolitischen 87 Prozent aufbegehren, nachfragen und wohl bald einsehen, daß etwas faul ist im Staate Deutschland? Wenn der Vorhang einmal heruntergerissen ist, werden die Protestierer schnell erkennen: Die deutsche Universität 1997 verfehlt nicht nur ihren simpelsten Ausbildungsauftrag. Sie bildet auch ihre Kinder nicht mehr im Humboldtschen Sinne zu mündigen Persönlichkeiten. Sie hält die Studis dumm und will sie auf rein wirtschaftliche Funktionen reduzieren. Und drittens greift sie kaum mehr in den gesellschaftlichen Diskurs ein. Die Studierenden haben, ob es den 68ern und Kohl paßt oder nicht, ihre kritische Rolle angenommen. Sie sagen: Uns reicht's.

Wer den Studierenden einreden will, sie sollten doch nicht mehr Pädagogik studieren, sondern vielleicht Elektrotechnik, weil da ein paar Studienplätzchen frei sind; wer den Studierenden anheimstellt, sie könnten mal eben 1.000 Mark pro Semester an Studiengebühren abdrücken – der fügt sich voll in die herrschende Dummhaltungslogik ein. Der will erstens einen großen Teil der jungen Leute fernhalten von den Unis. Denn nichts anderes hätte eine Studiengebühr zur Folge: soziale Abschottung der Unis für weite Teile der Gesellschaft. Und der will, zweitens, dem glücklichen Rest auch noch vorschreiben, was er zu studieren hat. Das wäre nun wahrlich der Gipfel. Ich glaube nicht, daß die immer aufgeweckter agierenden Studierenden sich damit befrieden lassen. Dafür ist es zu spät, seit die Streikbeginner in Gießen, seit diese wütenden, diese belogenen Bürgerkinder begriffen haben, daß sie ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen müssen. Christian Füller

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