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"Keine weiteren Studien nötig"

■ Umweltministerin Merkel stellt eine Großuntersuchung zu Leukämie vor. Fazit: Atomkraftwerke haben nix damit zu tun. Es gibt jedoch mindestens die Ausnahme Krümmel

Berlin (taz/dpa) – Es sei wissenschaftlich untermauert, daß in der Nähe von Kernkraftwerken „kein erhöhtes Krebsrisiko auftritt“, sagte Ministerin Angela Merkel (CDU) gestern in Bonn. Sie schließt das aus einer Studie der Universität Mainz, die in ihrem Auftrag und auf Grundlage des deutschen Kinderkrebsregisters durchgeführt wurde. Weitere Untersuchungen zum Thema Leukämie durch Kernkraftwerke seien nun in Deutschland nicht mehr notwendig, meinte Merkel.

Wie schon eine entsprechende Studie aus dem Jahr 1992 wurde auch diese Untersuchung von Professor Jörg Michaelis vom Institut für medizinische Statistik durchgeführt. Über einen Zeitraum von 16 Jahren wurden über 2.500 Fälle von Leukämie bei Kindern unter 15 Jahren in Deutschland ausgewertet. In einem Umkreis von fünf Kilometern rund um AKW konnte keine erhöhte Blutkrebs-Rate festgestellt werden. Mit einer Ausnahme: Die Rate rund um das umstrittene Kernkraftwerk Krümmel an der Elbe bei Hamburg liegt viermal so hoch wie der deutsche Durchschnitt, bestätigte Michaelis. Hier sei allerdings nicht erwiesen, ob dies unmittelbar auf die Anlage zurückzuführen sei. Die Daten ließen keinen solchen Schluß zu. Es gebe in Deutschland an verschiedenen Orten eine solche erhöhte Krankheitshäufigkeit, sodaß auch andere Faktoren in Betracht zu ziehen seien.

Angesichts dieses Ergebnisses warnte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ursula Schönberger vor voreiligen Schlüssen. Bei Krümmel müsse es weitere Klärungen geben. Dies könne durch eine von Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Auftrag gegebene Studie geschehen, mit deren Ergebnissen im Jahr 2000 zu rechnen sei.

An der Michaelis-Studie vom Jahr 1992 gab es seinerzeit massive Kritik. Sie berechnete die Häufigkeit der Leukämieerkrankungen in einem Umkreis von fünfzehn statt fünf Kilometern und kam in diesen Regionen damals ebenfalls auf keine erhöhten Krebsraten.

Wissenschaftler wie der Münchner Strahlenbiologe Edmund Lengfelder oder Roland Scholz von den Ärzten für die Verhütung eines Atomkriegs (IPPNW) hielten die Einteilung jedoch für zu grob: Wenn man eine Fünfkilometerzone um die AKW betrachte und die Latenzzeiten der Tumore berücksichtige, komme man sehr wohl auf erhöhte Leukämie-Raten. Außerdem habe Michaelis bei seiner 92er-Studie die Werte von über zwanzig Reaktoren in der Bundesrepublik ermittelt. Man dürfe auch nicht einfach einen Kreis um ein AKW ziehen, sondern müsse örtliche Begebenheiten wie die vorherrschende Windrichtung berücksichtigen, rügte Scholz.

Ob diese Kritik in der gestern vorgestellten Untersuchung in den geforderten fünf Kilometer Umkreis berücksichtigt wurde, blieb unklar. Professor Michaelis war gestern nicht mehr zu erreichen.

Bei Befragungen der Eltern leukämiekranker Kinder konnten die Statistiker verschiedene Beziehungen herausarbeiten. Regelmäßig geimpfte Kinder erkrankten seltener an Leukämie – ebenso wie allergisch erkrankte. Die Einnahme von Medikamenten während der Schwangerschaft wirke sich laut Studie ebensowenig auf die Blutkrebsrate aus wie Schädlingsbekämpfungsmittel in den Wohnungen. Die Studie erbrachte jedoch „Hinweise auf einen schädigenden Einfluß von Pflanzenschutzmitteln“, so das Bundesumweltministerium. Reiner Metzger

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