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Kapital für ein Leben nach dem Morden

■ Die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Argentinien und Brasilien geflüchteten Nazis brachten nicht selten reichlich Beute mit

Als Albert Blume 1937 nach Brasilien kam, lebten dort mit rund 75.000 Deutschstämmigen mehr „Alemanes“ als in jedem anderen lateinamerikanischen Land. Aber sonderlich beliebt waren die Deutschen nicht. Im Rahmen eines sich entwickelnden Nationalismus wurden allen Ausländergruppen, die als „schwer assimilierbar“ galten – darunter vor allem Japaner und Deutsche – die Möglichkeiten genommen, etwa eigene Schulen zu unterhalten. Eine recht strikte Integrationspolitik schränkte auch die Handlungsmöglichkeiten ausländischer politischer Organisationen ein. Die Auslandsorganisation der NSDAP, die im Nachbarland Argentinien recht bedeutend geworden war, konnte in Brasilien kaum Einfluß gewinnen.

Die politischen Vorgänge nach der Machtübernahme der Nazis in Deutschland wurden in Brasilien genau verfolgt – und führten nicht selten zu direkten Aktionen gegen die Deutschbrasilianer. „In São Paulo etwa wurden im April 1933 die Fensterscheiben des deutschen Konsulats eingeworfen, nach dem ,Röhm-Putsch‘ wurde – ebenfalls in São Paulo – die deutsche Flagge von Privatgebäuden gewaltsam entfernt, Veranstaltungen der Ortsgruppe der NSDAP wurden gestört“, schreibt der Historiker Jürgen Müller*. Den deutsch-brasilianischen Wirtschaftsbeziehungen tat das jedoch zunächst keinen Abbruch. Durch Kompensationsverträge und die Einführung einer Verrechnungsmark – Deutschland importierte Rohstoffe und verrechnete diese gegen Produkte der Schwerindustrie und Waffen – steigerte sich der deutsche Anteil an den brasilianischen Importen von 14,02 Prozent 1934 auf 25 Prozent 1938. Deutschland hatte selbst die USA als Handelspartner Brasiliens auf den zweiten Rang verwiesen.

Erst in der Folge des Zweiten Weltkrieges begann sich das Verhältnis zu wandeln. Die NSDAP- Aktiven – in Brasilien rund 3.000 – hatten 1939 Order aus Berlin bekommen, nach Deutschland zurückzukehren, die Partei wurde in Brasilien verboten, der Druck der deutschen Kriegsgegner auf die Handelspartner Deutschlands wuchs. 1942 trat Brasilien an der Seite der USA in den Krieg gegen Deutschland ein.

Als Einwanderungsland für Nazi-Flüchtlinge samt ihrer Familien hatte Brasilien nie die Bedeutung wie Paraguay oder gar Argentinien. Dort war mit General Juan Domingo Perón ein Bewunderer des europäischen Faschismus an die Macht gekommen, der sich im Zusammenspiel mit Vatikan und Rotem Kreuz schon lange vor Kriegsende daranmachte, beim Transfer von Nazi-Vermögen und der Flucht von NS-Offizieren nach Südamerika behilflich zu sein. Bis heute halten sich Vermutungen, daß wenigstens Teile der Gelder, die die Präsidentengattin Evita Perón über ihre Sozialstiftung an die Armen des Landes verteilte, ursprünglich als NS-Vermögen ins Land geraten sind.

Noch 1944, ein Jahr vor Kriegsende, hatten die Sowjetunion, die USA und Großbritannien in ihrer „Moskauer Erklärung“ versichert: „Wer immer als Mittäter oder Anstifter an Kriegsverbrechen, Massenmord oder Hinrichtung schuldig ist ... die drei alliierten Mächte werden jeden Schuldigen bis in den letzten Winkel der Erde verfolgen und vor seinen Ankläger bringen, auf daß Gerechtigkeit geschehe.“ Doch dieses Versprechen erwies sich schon unmittelbar nach Kriegsende als Makulatur.

Über die „Rattenlinie“ konnten Nazi-Flüchtlinge über Österreich nach Italien gelangen, fanden dort Aufnahme in der vatikanischen Mission von Bischof Hudal, wurden vom Roten Kreuz mit Visa versorgt und machten sich per Schiff auf den Weg nach Übersee. Ihre eigene Organisation Odessa (Organisation der ehemaligen SS- Angehörigen) half.

Wer aufgrund seines Know- hows für die Alliierten nützlich erschien, wurde geschützt – wie der Wissenschaftler Wernher von Braun, der in den USA weiter an der Raketentechnik forschte, und der Spionagechef Ost der Wehrmacht, Reinhard Gehlen, der im Auftrag der USA weiter Richtung Sowjetunion spionierte und mit seiner „Organisation Gehlen“ die Grundlage für den späteren Bundesnachrichtendienst legte.

Tatsächlich gesucht wurden später nur einige der Täter. Wie Auschwitz-Arzt Josef Mengele, der unbehelligt in Südamerika lebte und 1979 bei einem Badeunfall in Brasilien ums Leben kam. Oder der SS-Hauptmann Erich Priebke, der 1994 im argentinischen Bariloche verhaftet und nunmehr in Rom verurteilt wurde.

Erst in den letzten Jahren, als Nachkommen von Holocaust-Opfern mit Unterstützung der USA insbesondere von den Schweizer Banken forderten, ihre Rolle beim Verbleib des jüdischen Vermögens zu klären, haben sich die Nachforschungen wieder stärker auf die einfache Tatsache konzentriert, daß viele der geschätzten 1.500 nach Argentinien und Brasilien geflohenen Nazis nicht ohne Gepäck kamen; sie brachten reichlich Beute mit.

Allein in Brasilien hat die Regierungskommission bislang 14 Konten entdeckt, die inzwischen verstorbenen Nazis gehört haben könnten. Geschätztes Gesamtvermögen: 15 bis 20 Millionen Dollar.

* Jürgen Müller, „Nationalsozialismus in Lateinamerika: Die Auslandsorganisation der NSDAP in Argentinien, Brasilien, Chile und Mexiko, 1931–1945“, Stuttgart 1997

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