■ Ökolumne: Jenseits der Vollbeschäftigung Von Ralf Fücks
Die Massenerwerbslosigkeit, die alle alten Industriegesellschaften plagt, ist keine vorübergehende Erscheinung mehr. Das fast 50 Jahre erfolgreiche Nachkriegsmodell der Industriegesellschaft ist aus dem Lot geraten. Mit der Vollbeschäftigung alten Typs verschwindet auch das Leitbild des männlichen Normalarbeiters. Berufliche und soziale Sicherheit werden zum knappen Gut, Reichtum und Armut wachsen parallel.
These 1: Ein dauerhafter sozialer Ausschluß von Millionen Menschen geht an die Wurzeln der Demokratie. Ihm kann nur begegnet werden, indem die Grenzen zwischen den verschiedenen Sektoren des Arbeitsmarkts durchlässiger und die individuellen Erwerbsbiographien beweglicher werden: zwischen Teilzeit und Vollzeitbeschäftigung, Berufsarbeit und Qualifizierungsphasen, kommerzieller und Gemeinwesenarbeit, gesellschaftlicher Tätigkeit und Eigenarbeit. Voraussetzung dafür ist eine konsequente Arbeitszeitverkürzung in allen Variationen.
These 2: Der Gesellschaft geht keineswegs die Arbeit aus. Vielmehr kommt es darauf an, die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit, Gemeinwesenarbeit und Eigenarbeit zu erleichtern – gesellschaftlich wie individuell. Insbesondere muß eine dritte Art von Tätigkeit zwischen kommerzieller Berufsarbeit und privater Eigenarbeit stärker gefördert werden. Arbeit in Bürgerinitiativen und Projekten, Vereinen und Non-profit- Organisationen sollte in Zukunft den Anspruch auf ein gesellschaftliches Grundeinkommen, zumindest aber auf Arbeitsförderung und Alterssicherung begründen.
These 3: Die Lohnnebenkosten müssen sinken und nochmals sinken. Ein Finanzsystem, das öffentliche Aufgaben und soziale Sicherung überwiegend durch Steuern und Abgaben auf Arbeitseinkommen bestreitet, verschärft die Beschäftigungskrise und ruiniert seine eigene Grundlage. Es ist blanker Nonsens zu behaupten, die Lohnkosten spielten für die Beschäftigung keine Rolle. Die extreme Rationalisierungswelle der letzten Jahre, die Auslagerung lohnintensiver Tätigkeiten, die chronische Schwarzarbeit bei privaten Dienstleistungen – all das hängt direkt mit den hohen Arbeitskosten zusammen. Die können nicht allein durch einen Innovationswettlauf kompensiert werden.
These 4: Eine massive Verlagerung von Steuern und Abgaben auf den Ressourcenverbrauch und umweltschädigende Emissionen bringt ökologische Innovationen in Schwung und entlastet zugleich den Arbeitsmarkt. Zumindest mittelfristig eröffnet eine offensive ökologische Innovationspolitik auch neue Beschäftigungschancen: Wärmedämmung im Altbaubestand, Dezentralisierung der Energieversorgung, die Entwicklung ressourcenschonender Technologien und Produkte und eine Kultur des Reparierens – das alles ist auch ein großes Beschäftigungsprogramm.
These 5:Wir brauchen eine neue Kultur des Unternehmertums statt des Wartens auf Staat und Großunternehmen. Es muß für HochschulabsolventInnen attraktiver werden, sich selbständig zu machen, als auf einen Job im öffentlichen Dienst zu spekulieren. Dazu gehört auch eine unbürokratische Wirtschaftsförderung auf kommunaler und Landesebene und die steuerliche Förderung von Risikokapital.
These 6:Wissen ist der entscheidende Rohstoff der Zukunft, die entscheidende Produktivkraft auf dem Weltmarkt. Wichtiger noch als spezialisiertes Fachwissen ist Orientierungswissen: die Fähigkeit, ökonomische, soziale, technische, ökologische, kulturelle und politische Kenntnisse zu kombinieren, um uns in einer immer komplizierteren Welt zurechtzufinden und Veränderungen zu antizipieren. Kürzungen bei Investitionen in Bildung, Wissenschaft und Kultur sind deshalb das Dümmste überhaupt. Das ist kein Plädoyer dafür, immer mehr Geld in überkommene Strukturen zu pumpen. Schulen und Wissenschaftssystem brauchen sicher eine Reform an Haupt und Gliedern. Wer aber nicht einsieht, daß Investitionen in das Denken wichtiger sind als neue Autobahnen oder Eurofighter, der sollte von Zukunftssicherung schweigen.
Kurzfassung von Fücks Thesen zur Tagung „Zukunft der Arbeit“, die an diesem Wochenende auf Einladung der Heinrich-Böll Stiftung in Jena stattfindet
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen