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„Sorry, Wendell ...“

Gesichter der Großstadt: Albas bester Basketballer Wendell Alexis wollte eigentlich immer nur in der NBA spielen und tingelt statt dessen seit elf Jahren durch Europa  ■ Von Holger Stark

Valerio Bianchini war sichtlich um Fassung bemüht. Gerade hatte Alba das Topteam aus Bologna mit 95 zu 79 überrannt und die hochkarätigen Italiener geradezu gedemütigt, da kam die Frage auf, wer wohl der beste Spieler des Abends gewesen sei. Der italienische Trainer zögerte keine Sekunde: „Mister Alexis.“ Wendell Alexis hatte mit 22 Punkten nicht nur die meisten Berliner Körbe erzielt, sondern auch das direkte Duell gegen seinen US-amerikanischen Landsmann Dominique Wilkins um Längen gewonnen. Dominique Wilkins hat 14 Jahre lang in der sagenumwobenen nordamerikanischen Basketball- Liga NBA gespielt, dabei so viele Millionen verdient, daß zwei Hände zum Zählen nicht ausreichen, und ist mit rund 27.000 Punkten der sechstbeste NBA-Werfer aller Zeiten. Eine lebende Legende. Wendell Alexis wollte auch in die NBA. Ihn haben sie nicht genommen.

„Iceman“ nennen sie ihn, weil er so cool Korb um Korb macht, mit der Präzision einer Maschine. Durchschnittlich 18 Punkte pro Spiel notierten die Statistiker vergangene Saison für den New Yorker, mehr als jeder andere Albatros. Ohne Wendell Alexis wäre Alba nicht das Spitzenteam, und ohne ihn hätten die Berliner schon so manches glücklich gewonnene Spiel verloren.

Wie neulich in Athen. Alba hatte fast schon verloren, 79 zu 78 führten die Griechen, und noch drei Sekunden waren zu spielen. Da paßte Spielmacher Vassilij Karassev auf Alexis, und als es schon kaum noch jemand glaubte, versenkte der den Ball mit der Schlußsirene: Totenstille in der Halle. Sieg für Alba.

Seit einem Jahr macht er das so. Ein Basketball-Söldner, der durch Europa zieht, weil sie ihn in den USA nicht wollten. Fast jedes Jahr hat er den Verein gewechselt, fast schon getrieben davon, sich nicht zu binden. Früher jedenfalls. Denn Wendell Alexis hat in Berlin einen Vertrag unterschrieben, der bis 1999 gilt. Seine Frau ist mit den drei Kindern nachgezogen. Natürlich, ein Dominique Wilkins verdient in Italien immer noch mehr als zwei Millionen pro Saison und Alexis in Berlin nicht mal eine. Aber Alexis mag Berlin.

Natürlich tobt das Publikum, wenn „Flying Henning“ Harnisch einen seiner unnachahmbaren Dunkings versenkt. Und selbstverständlich stehen die leute begeistert auf, wenn Henrik Rödl rackert wie ein Tier. Aber zu Alexis, der auf dem Spielfeld eher steif und unauffällig agiert, pflegt das Alba-Publikum eine ganz besondere Beziehung. Wenn der ansonsten sichere Schütze etwa beim ersten Freiwurf nur den Ring trifft, schallen aus dem Fanblock schon mal spontane „Wen-dell Ale-xis“- Sprechchöre, als wollten die Fans ihm Mut machen, weil jeder sieht, daß keiner sich mehr ärgert als der 33jährige selbst.

Wie so viele schwarze Kids fing der New Yorker mehr oder weniger zufällig an, mit Bällen auf Körbe zu werfen: Seine Eltern wohnten in Brookyln in einem Viertel, gegen das die Gropiusstadt wie ein Villenvorort wirkt. „Wir wußten nicht so recht, was wir als Kinder machen sollten“, sagt Alexis. Also war Alexis glücklich, als eine katholische Nachbarschaftsorganisation aus einem anderen Viertel ihn und ein paar andere Kids auflas und sie in ihr Basketballteam aufnahm. Für ihn war es das erste Mal überhaupt, daß er in einer richtigen Mannschaft spielte, und von da an entwickelte sich seine Karriere steil nach oben: Highschool, College, Basketball- Stipendium, University of Syracuse. „In meiner Familie war niemals zuvor jemand auf einer Universität gewesen“, sagt Albas „Mister Europaliga“, und dieser Druck, nicht zu versagen, verfolgt ihn seitdem.

Der Weg in die amerikanische NBA führt in der Regel über ein „Drafting“ genanntes Trainingscamp, das jeden Sommer stattfindet. 1986 war das Jahr, in dem auch Wendell Alexis eingeladen wurde, und tatsächlich gaben ihm die Golden State Warriors aus dem sonnigen Kalifornien eine Chance. „Wir waren drei Anfänger“, erinnert sich Wendell, „und wir durften ein halbes Jahr lang mittrainieren.“ In Alexis Gedächtnis hat sich jener Novembertag 1986 eingeprägt, an dem die Nachwuchsspieler wie Rekruten dasaßen, die auf ihr Musterungsergebnis warten. Plötzlich klingelte das Telefon. Am anderen Ende war Warriors-Coach George Karl. „Sorry, Wendell“, sagte der Trainer, „wir können nur zwei nehmen.“

Heute ist der 2,04 Meter große „Forward“ ein höflicher, selbstbewußter Mann, der weiß, was er kann, und der schlimmstenfalls mal gegen die Bande tritt, wenn er unkonzentriert verwirft. Zu Hause hört er gerne Soul und Latin Music, und wenn jemand laut spricht, wird er lieber leise, anstatt zu stören. Aber wenn er sich an damals erinnert, werden seine Gesichtszüge undurchdringlich und hart. „Ich war enttäuscht, wütend, sauer, pissed off“, stößt er heraus. Aus Frust packte der damals 22jährige seine Koffer und ging nach Europa, um mehr Spielpraxis zu bekommen. In den Sommerferien flog er zurück in die Staaten, zu Probetrainingseinheiten. Bei den Indiana Pacers, New York Knicks, den Philadelphia 76ers und wieder bei den Knicks. Die Antwort war zwei Jahre lang immer die gleiche: „Sorry, Wendell ...“

Der Traum ist aus, und Wendell Alexis weiß das. Er hat sich damit abgefunden und statt dessen in Europa mitgenommen, was mitzunehmen war: Spanien, Frankreich, Israel, Deutschland, elf Jahre insgesamt, gutes Geld gegen viele Körbe, ein Nomadenleben. Wenn er in der vergangenen Saison geglegentlich etwas traurig am Spielfeldrand stand, dann lag das eher daran, daß er im Frühjahr zum dritten Mal Vater wurde und trotzdem hier spielen mußte, während seine Frau in den USA auf das Baby wartete. Mit der Haltung eines Profis hat er das durchgezogen, ohne allzu viele sichtbare Emotionen. Bloß, wenn ein Team wie Bologna kommt, mit großen Namen aus der NBA, dann merkt man, wie tief der Ehrgeiz in ihm brennt. Wie er es ihnen zeigen möchte, daß das eine Fehlentscheidung war, ihn damals nicht zu nehmen. Und wenn es wie gegen Bologna gelingt, dann sieht man Wendell Alexis für einen Augenblick sogar glücklich lächeln.

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