■ Titel, Thesen etc.: Krach um die Bilanz
Vor einem Jahrzehnt noch hätte das „Schwarzbuch des Kommunismus“ wohl lediglich die üblichen Historiker und Revolutionsexperten interessiert. Sie hätten sich die 850-Seiten- Schwarte gekauft, um in fünf großen Kapiteln die neuesten Details über Verbrechen im Zeichen des Kommunismus zu studieren. Anschließend hätten sie das im Verlag Robert Laffont erschienene „Schwarzbuch“ neben die Dutzenden anderen Werke zum Thema ins Regal gestellt.
Aber inzwischen ist die Sowjetunion verschwunden, es halten nur noch ein paar vereinzelte Mohikaner die rote Fahne hoch. Unter diesen neuen Vorzeichen löste die Veröffentlichung des „Schwarzbuchs“ in Paris ein seltenes Spektakel aus: Sondersendungen im Fernsehen, Spezialbeilagen in den großen Zeitungen und eine Debatte im französischen Parlament, in deren Verlauf sich der sozialistische Premierminister Lionel Jospin „stolz“ darauf zeigte, drei Kommunisten in seiner Regierung zu haben.
Für den Rummel um das Buch sorgte neben dem geschickt gewählten Erscheinungstermin (zum 80. Jahrestag der Oktoberrevolution), den selbst die meisten französischen Kommunisten klammheimlich ignorierten, vor allem das Vorwort des Herausgebers Stéphane Courtois. Der Studiendirektor am staatlichen französischen Forschungsinstitut CNRS, Kommunismushistoriker und Chef der Theoriezeitschrift Communisme zog darin die blutige Bilanz von 100 Millionen Todesopfern des Kommunismus. Darüber hinaus zog Courtois eine Parallele zwischen den nationalsozialistischen und den kommunistischen Verbrechen, verglich „Völkermord“ mit „Klassenmord“, setzte wie nebenbei die „Einzigartigkeit von Auschwitz“ in Anführungszeichen, operierte mit dem Begriff „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ – im Kontext der kommunistischen Regime.
In dem Team der sechs Historiker, allesamt langgediente Kommunismusforscher und zumeist selbst K-Gruppen-erfahren, gab es Krach. Sowjetunionexperte Nicolas Werth und Asienfachmann Jean-Louis Margolin griffen ihren Herausgeber öffentlich an. Sie warfen ihm vor, ihre Arbeit für eine politische Operation mißbraucht und ihre Zahlen leichtfertig nach oben abgerundet zu haben.
Inzwischen hat der Historikerstreit à la française die internationale Bühne erreicht. Die griffigen Vorwort-Thesen zum „Schwarzbuch“, das im 1998 bei Piper auf deutsch erscheinen soll, stehen im Vordergrund – egal, wie ungenau Courtois' Zahlen, wie einfach seine Schlußfolgerungen und wie voreilig sein Totalitarismusvergleich erscheinen. Die nachdenklichen Töne der übrigen Historiker des Teams, die ihrerseits immer noch dabei sind, Fakten zu sammeln, die bis vor kurzem unzugänglichen Archive zu durchforsten und nach Erklärungen für die Gewalttaten des Kommunismus zu suchen, muß man mühsam zwischen den Deckeln des „Schwarzbuches“ suchen. Wie früher, als die Kommunismusforschung Expertensache war. dora
Siehe Debattenbeitrag Seite 12
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