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Ein Liebespaar hält Händchen

Irgendwie ist es erhebend, bei einem Weltrekord dabeigewesen zu sein! Der Eisschnellauf-Weltcup in Berlin erweist sich trotz Niemann-Stirnemann als ästhetisch ansprechend  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Berlin (taz) – Eigentlich gibt es wenige Unternehmungen, die so gut in herbstliche Samstagnachmittage passen, wie der Besuch des Weltcup-Auftakts der Eisschnellauf-Allrounder in der Halle des Sportforums in Hohenschönhausen. Das ist interessant, lehrreich und auch schön. Glühwein gibt es, sehr nett lächelt der kurzgeschorene Sicherheitsmann in seiner gemein aussehenden Dienstkleidung, und am Schlittschuhladen neben der Eissporthalle kleben DDR-ige Eisblumenverzierungen.

Rauchend stehen interessierte Mitbürger draußen vor der Halle in Mänteln bei leckeren Buletten, Würstchen und Suppe. Die Eisschnellaufhalle in Hohenschönhausen sieht zwar immer noch sowohl modern als auch solide aus, ist allerdings ein bißchen übel beleumdet. Bitterkalt sei es hier, klagt man, was möglicherweise daran liegt, daß keine Heizung eingebaut worden war. Ungemütlich, „Tristesse im bitterkalten Oval“.

Neulich bei den Deutschen Meisterschaften hätten sich nur wenige Dutzend Zuschauer im ersten europäischen Skateodrom verloren, „ein wahrhaft grausiger Anblick“, fand die Berliner Zeitung. AthletInnen mit „Asthma- und Bronchialproblemen“ (Bundestrainer Joachim Franke) finden Hohenschönhausen auch nicht so gut. Zu Recht, zu Unrecht, wer mag das entscheiden. Reporter und Sportler sind als Sensibelchen bekannt.

Am Samstag und Sonntag jedenfalls beim „Weltcup der Damen und Herren“ im Klappschlittschuhwettrennen erwähnte der Hallensprecher des öfteren, daß es in der Halle wärmer sei als draußen: 11 Grad. Wenn man unter der „Sekundärluftjalousie“ sitzt, ist es noch wärmer.

Eisschnellauf: Startschüsse peitschen durch den Samstagnachmittag. Zwischenzeiten prasseln auf einen nieder. Alle amtierenden Weltmeister sind beim ersten internationalen Aufeinandertreffen der Mittel- und Langstreckler in der Olympiasaison 97/98 dabei. Vor allem die Aspekte Klappschlittschuh und Motivation Olympia seien die Hauptgründe für die einsetzende Progression in den Leistungen, sagt DESG-Mehrkampfbundestrainer Joachim Franke. Tatsächlich purzelten die Bahnrekorde.

„Komm Anni, hopp, hopp“, ruft jemand vom Fachverband immer wieder, wenn Anni Friesinger in Reichweite vorbeiflitzt. Schlittschuhwettrennen ist ein ästhetisch sehr ansprechender Sport. Beim Zugucken auch irgendwie meditativ. Wie schnell die doch da übers blitzblanke Eis flitzen und sich andererseits wie in Zeitlupe warmlaufen. „So schlimm sehen die auch gar nicht aus“, findet meine Begleiterin. Im Gegenteil! Und sind auch sehr schick gekleidet. Eine Amerikanerin trägt zum Beispiel eine blaue Sonnenbrille, eine andere kommt in einem fantastischen Zitronengelb daher, ein Japaner im witzigen Hosenanzug lacht sehr verschmitzt; ein ganz rot gekleidetes norwegisches Eislaufliebespaar hält Händchen beim Einlaufen – und manche haben ganz dünne Beine.

Eiswettlaufveranstaltungen haben, wie die meisten gern als „Randsportarten“ denunzierten Disziplinen, etwas sympathisch Unaufgeregtes. Während auf den zwei Außenbahnen ein spannendes Rennen stattfindet, laufen sich die anderen Eisschnelläufer auf der dritten Bahn warm und kreuzen zuweilen sogar die Wettkampfbahnen, wenn die Wettläufer gerade woanders sind. Die Wettläufer klopfen einander manchmal freundlich auf den Po. Besonders zahlreich ist das Publikum zwar nicht, dafür aber um so fachverständiger.

In den Eispflegepausen bestaunt man die fast wasserwerfergroßen Eispflegefahrzeuge, die Lautsprecher spielen „California Dreaming“ und „Mr. Tambourine Man“. Dann geht man ins Sportkasino, bestellt sich am „Thresen“ (sic!) Pommes mit leckerem Ketchup und unterhält sich über regionale Lieblingsspeisen aus der eigenen Sportlerjugend. Zum Beispiel Brötchen mit Ketchup oder Mohrenkopf.

Viele deutsche Iceskater kommen aus Erfurt oder sind bei der Bundeswehr, drei Österreicherinnen heißen Emese, zwei italienische Läuferinnen haben den schönen Försterinnenberuf gewählt. Gunda Niemann, die seit ihrer Heirat den interessanten Namen Niemann-Stirnemann trägt, gewinnt am Samstag wie gewöhnlich die 1.500 m und jauchzt sehr ansteckend. Bahnrekord! Am Sonntag jauchzt sie nicht, sondern verliert über 3.000 m gegen Claudia Pechstein. Auch Bahnrekord. Dafür ist Peter Adeberg „glücklich“, nachdem er sich als Sechster über 1.500 m für Olympia qualifiziert hat. Der schaue Holländer Ids Postma (Hobbies: Judo, Landwirtschaft) läuft über dieselbe Strecke Weltrekord, obgleich das Eis nicht so superschnell ist, guckt glücklich in die Gegend und ruft laut „Juchhu!“

Historiker behaupten, es sei der erste Weltrekord in Berlin in 106 Jahren gewesen. Auch wenn gestern in Kanada schon wieder einer schneller war: Irgendwie ist es erhebend, bei so einem Weltrekord dabeigewesen zu sein!

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