Eine Demontage in Raten

Warum Tschechiens Premierminister Klaus zurücktreten mußte  ■ Aus Prag Sabine Herre

Das Anfang vom Ende begann Freitag abend. Mit einer gemeinsamen Erklärung traten während der besten Sendezeit des Fernsehens Ex-Innenminister Jan Ruml und Finanzminister Ivan Pilip, beide führende Mitglieder der Regierungspartei ODS, vor die Kameras: Die Situation der Partei sei nach der Affäre um die 7,5-Millionen-Spende des Unternehmers Milan Srejber unerträglich geworden. Da es dem Parteivorsitzenden und Regierungschef Václav Klaus nicht gelungen sei, die Beschuldigung der Bestechlichkeit zurückzuweisen, solle er zurücktreten.

Der Angriff traf Klaus in Sarajevo, wo er an einem Treffen der Mitteleuropäischen Initiative teilnahm. So war der Vorwurf des Putsches schnell geboren. Hatte nicht auch Gorbatschow außerhalb Moskaus geweilt, als stalinistische KP-Führer die Macht in der Sowjetunion an sich reißen wollten? Nicht daß die Anhänger von Václav Klaus jetzt Ruml und Pilip für Marionetten der Kommunisten hielten, aber als irgendwie „linker“ als Klaus gelten die beiden schon.

Während Klaus in Sarajevo wie gelähmt schien, ging in Prag alles sehr schnell. Nach einer zweistündigen Versammlung erklärten die Minister der zweiten Regierungspartei KDU-CSL ihren Austritt aus der Regierung. Am Samstag morgen schloß sich der dritte Koalitionspartner ODA dem an. Ein Minister hatte es so eilig, daß er seine Demission Präsident Havel völlig verfassungswidrig per Fax mitteilte. Eilig hatten es auch die tschechischen Zeitungen: Bereits in ihren Samstagsausgaben, als erst acht der 17 Kabinettsmitglieder zurückgetreten waren, verkündeten sie den Sturz der Regierung. Sie wollten sich, so schien es, für alle Erniedrigungen revanchieren, die ihnen der in seinem ökonomischen Wissen nur schwer zu überbietende Klaus zugefügt hatte.

Laut Verfassung steht und fällt die Regierung jedoch mit dem Premier, und der war schließlich immer noch im Amt. Und Klaus war entschlossen, nicht so schnell aufzugeben. Seine treuesten Anhänger hatten die Basis mobilisiert. Schon am Samstag mittag trafen aus drei der acht Kreisverbände Unterstützungserklärungen für Klaus ein. Doch auch die Klaus- Gegner waren nicht untätig: Der Prager Erzbischof ließ eine Erklärung verlesen, in der er sich gegen Klaus aussprach und die Rückkehr der Moral in die Politik forderte. Und der Innenminister bestätigte den von einer Zeitung erhobenen Vorwurf, daß die ODS über ein Geheimkonto mit 170 Millionen Kronen (10 Millionen Mark) in der Schweiz verfüge. Auch „Nova“, der mächtigste TV-Sender der Landes, ergriff Partei: Nachdem der private Kanal noch am Mittag den Eindruck erweckt hatte, daß Klaus keinen Grund für einen Rücktritt sehe, berichtete er in den Hauptnachrichten über eine Villa in der Schweiz, die sich Klaus mit Bestechungsgeldern gekauft habe.

Der Showdown begann schließlich im Parteigebäude der ODS. Dort tagte seit 13 Uhr hinter scharf bewachten Türen der Vorstand der ODS. Auf 50:50 wurden die Machtverhältnisse eingeschätzt. Mehr als nur lebhaft muß es zugegangen sein; viele Vorstandsmitglieder verheimlichten nicht, daß die Berichte über das geheime Konto in der Schweiz sie „zutiefst verunsichert“ hätten. Jetzt müsse endlich Schluß sein mit der stillschweigenden Duldung der wachsenden Korruption. Anders ausgedrückt: Klaus muß weg.

Doch bevor der Premier mit seiner Rücktrittserklärung ein wichtiges Kapitel tschechischer Geschichte schloß, durfte er sich – sicher zum ersten Mal während seines politischen Wirkens – über eine spontane Sympathiekundgebung freuen. Rund 300 Anhänger versammelten sich vor dem ODS-Tagungsort zu einer Demonstration. Hier waren sie, die Gewinner der Klausschen Reformen: Keine Angehörigen der Mafia, sondern kleine und mittlere Geschäftsleute, darunter viele Frauen. „Die ODS ist Klaus“, skandierten sie und brachten damit zum Ausdruck, was die Parteimitglieder in den nächsten Monaten beschäftigen dürfte: Gibt es für die ODS eine Zukunft ohne Klaus?