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Mit Mutmaßungen Opfer zu Tätern gestempelt?

■ Lübecker Brandprozeß: Nebenkläger-VertreterInnen kritisieren Urteilsbegründung

Mit schroffer Kritik an der schriftlichen Begründung des Freispruchs für Safwan Eid im Lübecker Brandprozeß werden sich heute die AnwältInnen von vier NebenklägerInnen an das Kieler Justizministerium und den schleswig-holsteinischen Innenminister Eckehard Wienholtz (SPD) wenden. In einer gemeinsamen Erklärung werfen die Hamburger RechtsanwältInnen Ursula Ehrhardt, Marlene Schmid-Czarnetzki, Mathias Wagner und Jan Mohr dem Lübecker Landgericht vor, in seiner schriftlichen Urteilsbegründung „mit Mutmaßungen zur Brandentstehung ... unspezifisch Hausbewohner zu Verdächtigen zu stempeln“. Während der Beweisaufnahme habe sich aber, so das Quartett, „kein einziger konkreter Anhaltspunkt in diese Richtung ergeben“.

In der fünfzehnseitigen Erklärung werfen die vier JuristInnen dem Vorsitzenden Richter Rolf Wilcken vor, „mit überschießenden Feststellungen ... über das Verfahrensende hinaus teilweise abstruse Sachverhaltsinterpretationen festzuklopfen“. Dadurch würde nicht nur „jede weitere Aufklärung blockiert“, auch würden „die Bewohner einschließlich des freigesprochenen Safwan Eid (wieder) in einen diffusen kriminellen Schatten gestellt“werden. „Die Urteilsgründe werden leicht dazu benutzt werden können“, prognostizieren die AnwältInnen, den Flüchtlingen „kollektiv die Verantwortung für das erlittene Leid zuzuschieben“.

Konkret kritisieren die VerteidigerInnen, daß das Lübecker Landgericht anders als in seiner mündlichen Begründung im schriftlichen Urteil eine Brandlegung von TäterInnen, die von außen in das Flüchtlingsheim Hafenstraße eindrangen, nahezu ausschließt. Dieser Festlegung aber stehen nach Ansicht der Nebenkläger-VertreterInnen „nicht nur die Beurteilung mehrerer Sachverständiger entgegen, sondern auch andere Erkenntnisse des Gerichts selbst“.

Daneben rügen die vier Hamburger StrafverteidigerInnen, daß das Gericht eine „abstruse Hypothese“über die Verbreitung des Feuers aufgestellt habe, nach der die Kleidung des Flüchtlings Sylvio Amoussou im ersten Stock Feuer gefangen und später den hölzernen Vorbau in Brand gesetzt habe. Auch seien die Grevesmühlener Jugendlichen, die in der Brandnacht mehrfach am Tatort gesichtet worden waren und kurz darauf frische Brandspuren aufwiesen, von Richter Wilcken ohne hinreichende Indizien aus dem Kreis der Tatverdächtigen ausgegrenzt worden. In der anwaltlichen Erklärung heißt es dazu: „Daß ein zur Objektivität verpflichtetes Gericht ... sich versteigt, die gegebenen Möglichkeiten eines fremdenfeindlichen Anschlags vom Tisch zu wischen ... und im gleichen Atemzug die Opfer in den Ruch der Täterschaft zu stellen, erfüllt mit Bitternis“.

Da anders als in der mündlichen Freispruchsbegründung von Ende Juni im schriftlichen Urteil keine Kritik an den Ermittlungsversäumnissen von Polizei und Staatsanwaltschaft vorkommt, sehen die AnwältInnen „die Weichen in Richtung einer stillschweigenden Beendigung des Falls Brandanschlag Hafenstraße“gestellt.

Nicht ganz zu Unrecht. Denn vorige Woche erklärte der Staatssekretär im Kieler Justizministerium, Wulf Jöhnk, den Vorwürfen gegen die Ermittler „sei mit der schriftlichen Urteilsbegründung des Lübecker Landgerichts der Boden entzogen worden“. Marco Carini

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