: Selbstverteidigung im Dienst
■ Übergriffe auf MitarbeiterInnen im Sozialamt häufen sich. Manche Bezirke setzen Wachschutz ein, andere lassen Psychologinnen kommen. Personalnotstand und ungemütliche Räumlichkeiten erhöhen Aggression vieler S
Der bislang letzte Vorfall war besonders kraß: Ein Sozialhilfeempfänger schlug aus Wut darüber, daß ihm eine Leistung nicht zugebilligt wurde, mit einem Stuhl auf den Sachbearbeiter ein. Dieser war daraufhin für drei Monate krank geschrieben und kann seitdem nicht mehr im Publikumsverkehr arbeiten. Die MitarbeiterInnen des Sozialamts Spandau haben Angst. Sie wissen nicht, wie sie sich wehren könnten, wenn sich solche Übergriffe in der Zukunft häufen sollten.
Einige von ihnen, die täglich an der „Basis“ mit den Sozialhifeempfängern arbeiten, haben deshalb jetzt eine „Arbeitsgruppe Sicherheit“ gebildet. Sie wollen einen ausführlichen Fragebogen entwerfen, in dem alle 64 SachbearbeiterInnen ihre Erfahrungen und ihre Ängste schildern können. Mit Hilfe des Fragebogens soll dann ein „Sicherheitskonzept“ erarbeitet werden.
Die Gewaltschwelle scheint in Spandau tasächlich sehr niedrig zu sein: Nach Schätzung des leitenden Fachbeamten Jörg Kundt wird durchnittlich einmal im Monat eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter physisch von SozialhilfeempfängerInnen, in der Mehrzahl Männer, angeriffen: Das reiche von Spucken, Schubsen und Stoßen, Beinstellen im Wartezimmer bis hin zu Faustschlägen und Ohrfeigen, weiß Jörg Kundt. Verbale Gewalt sei dagegen „Alltag“. Sachbearbeiterinnen, in der Mehrheit Frauen, würden als „Schlampen“ oder „Miststück“ beschimpft und bedroht. Auch Vandalismus komme, so Kundt, immer öfter vor: So würden Akten vom Tresen heruntergeschmissen, einmal sei schon eine Tür eingetreten worden. Doch, so konstatiert Kundt, nur eine Minderheit der 16.000 Spandauer Sozialhilfeempfänger sei ausfallend, die Mehrheit sei freundlich und zurückhaltend. Dennoch würden die Vorfälle eine große Unruhe unter den Angestellten erzeugen, so daß es dringender Veränderungen bedürfe.
Als Ursachen für die Übergriffe sieht Kundt neben der allgemein ansteigenden Gewalttätigkeit auch die Zustände im Sozialamt selbst. HilfeempfängerInnen müßten, wenn sie ohne Termin kämen, „drei Stunden oder manchmal auch länger“ auf eine Beratung warten. Ein Sachbearbeiter müßte an manchen Tagen bis zu 30 Menschen „abfertigen“, normal seien 15 bis 20. Durch die extreme Belastung sei der Krankenstand sehr hoch, also noch weniger Personal als nötig vorhanden. „Ich habe deshalb sogar ein gewisses Verständnis für Aggressivität“, sagt Jörg Kundt.
Auch in Neukölln gibt es ähnliche Probleme. Im Bezirk beziehen rund 44.000 Menschen Sozialhilfe, lediglich 500 von ihnen machten den MitarbeiterInnen das „Leben aber verdammt schwer“, sagt CDU-Sozialstadträtin Stefanie Vogelsang. Einigen von ihnen wurde deshalb schon Hausverbot erteilt. Sie können ihre Leistungen also nur noch durch einen Vertreter mit Vollmacht beziehen. In Wedding seien Übergriffe auf das Sozialamt ebenfalls ein „Riesenproblem“, sagt der leitende Fachbeamte Peter Block. Hier griff die Sozialstadträtin nach vereinzelten Attacken mit Messern und Pistolen zu drastischen Maßnahmen: Zwei Wachschützer patrouillieren jetzt durch die Gänge des Amtes. Und: Alle Schreibtische sind mit Alarmanlagen ausgestattet. Doch den MitarbeiterInnen ist das augenscheinlich nicht genug: Einige fordern jetzt sogar Glastrennwände mit Sprechanlage – wie im Knast.
In Kreuzberg hält man davon indes wenig. „Wachschutz führt nicht zur Deeskalation, weil die Klientel sich bespitzelt fühlt“, weiß die zuständige Amtsleiterin. Männer in Uniform würden „auf beiden Seiten“ ein schlechtes Gefühl erzeugen. Zwar ist die Situation auch hier durchaus nicht entspannt – in den vergangenen zwölf Monaten wurde ein Schreibtisch umgeschmissen, eine Bürotür eingetreten und ein psychisch kranker Mann schlug einen Mitarbeiter mit einer Glasflasche –, dennoch versucht man hier, mit einer „fachspezifischen Supervision“ die Lage zu verbessern. PsychologInnen des Technischen Überwachungsvereins Berlin-Brandenburg (TÜV) haben deshalb die MitarbeiterInnen beraten: „Besonders wichtig ist es, die Bedingungen zu erfahren, unter welchen Umständen die Leute im Amt arbeiten“, sagt Psychologin Annegret Mahn. Schon der eher profane Umstand, daß bei manchen SachbearbeiterInnen während einer Beratung ständig das Telefon „rappelt“, könne zu einer Eskalation führen. Um Aggression abzubauen sei es auch wichtig, den Klienten freundlich zu begrüßen und ihm beim Namen zu nennen. Auch die Gestaltung der Räumlichkeiten – keine gelbgetünchten schmutzigen Flure, Nichtraucherzonen, großzügig gestaltete Zimmer – sei von Bedeutung.
Auch in Spandau will Jörg Kundt möglichst keinen Wachschutz einsetzen. Er setzt eher auf psychologische Beratung und Deeskalationstraining. Doch über die Veränderung der Räume macht er sich keine Illusionen: „Wir sitzen in einer ollen Kaserne mit engen Fluren. Da kann man nicht viel verändern.“ Julia Naumann
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