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Ein Spiel vom Fragen

■ Das große "Was sollen wir tun"-Projekt: In Dresden wurde die Uraufführung von Tankred Dorsts Stück über Tolstoi mit einer Inszenierung von "Hamlet"/"Hamletmaschine" gekoppelt

Bei Tankred Dorst wird nicht mehr gehandelt, sondern mit den Achseln gezuckt. „Was sollen wir tun“ ist – ohne Fragezeichen – der Titel eines Triptychons, in dem immer wieder Menschen gezeigt werden, die aus einem Gefühl des Scheiterns heraus in die Zukunft denken. Zunächst ist es in einem Monolog der Atheist Gorki, der sich den gottgläubigen Tolstoi zum Hoffnungsbild verklärt. Dabei werden in Tobias Wellemeyers Uraufführungsinszenierung im Kleinen Haus des Dresdner Staatsschauspiels (am gleichen Freitag kam das Stück in Bonn heraus) Gorkis Sätze zum Geräusch einer Schreibmaschine auf eine Gazewand getippt, hinter der ein gedankenvoller Gorki wie in naher Ferne von weither hallendem Verkehrslärm eingehüllt scheint.

Dieser anfänglichen Aktualisierung der Sinnfrage ins zugleich Überzeitliche folgt eine Inszenierung im historischen Kostüm. Dorst hat die Figuren des Mittelteils einem Fragment gebliebenen Drama Tolstois aus dem Jahre 1896 entnommen. In „Und das Licht scheinet aus der Finsternis“ verschenkt der Gutsbesitzer Sarynzew seinen Besitz, predigt gottsuchend die Bedürfnislosigkeit und will mit einem Landstreicher dessen Straßenleben teilen. Sein radikaler Idealismus bringt die Familie durcheinander: Der Freund einer seiner Töchter verweigert unter Sarynzews Einfluß den Militärdienst und landet im Irrenhaus, und das private Glückstreben seiner Frau und Kinder kollidiert mit seinem Rigorismus.

Dorst hat nun keine plastischen Figuren von heute, sondern Abziehbildchen nach Tolstoischem Vorbild von gestern gemalt. Auch wenn der Autor im Interview das Gegenteil beauptet: Nicht die Menschen, sondern die Ideen sind das Material seines Stückes. Was auch die Schwäche seines altväterlich-biederen Stückes ausmacht – es lebt nicht, sondern fragt und theselt. Wellemeyer versucht, es ins Gewand der Gesellschaftskomödie zu stecken, und läßt eine Art aufgeregten Tschechow spielen.

Den vom Autor wie Schachfiguren eingesetzten Figuren wird von außen Komik und Psychologie zugeführt. Dadurch bekommen sie natürlich kein inneres Profil. Im überdachten, von Veranden und Türen umgebenen Innenhof (Bühne: Henning Schaller) wirbelt in wahrer Türklappdramaturgie die Familie des Grafen im wilden Lebenswunsch mit schwarz vermummten Wiedergängern und Opfern der Gesellschaft durcheinander. Nur Sarynzew wirkt wie ein lebender Leichnam: fast eine Leerstelle im Zentrum der Inszenierung. Ein Denker als Denkfigur, von Dorst zwar durchaus skeptisch gesehen, aber nicht als so völlig abgewirtschaftet gezeigt.

So strahlen andere Figuren: vor allem die heitere Tochter Natascha, von Marianna Linden als nicht nur lebensfröhliche, sondern auch nachdenkliche Frau dargestellt, während Christine Hoppe die Figur der strengen Tochter fast bis in die Karikatur treibt. So spielt jeder in einer überdrehten Tragikomödie seinen eigenen Stil im mätzchenlosen Ensemblespiel, das unabsichtlich die Schwächen dieses Mittels teils offenlegt.

Wirkungssicher bis zu Klamotte dann der dritte Teil, das Satyrspiel „Akrobaten“. Der vor der Oktoberrevolution nach Amerika geflüchtete Sohn Tolstois sucht einen ehemaligen Anhänger des Vaters auf. Doch der ist mit Tolstois urchristlich-pazifistischen Idealen gescheitert und hat sich erfolgreich zum Kapitalisten gewandelt. Als Zirkusdirektor stellt er den seinem Vater ungeheuer ähnlich sehenden Sohn in seiner Show als Tolstoi- Double aus: das Ideal als fernes, auch komisches Bild aus dem Osten. Hans-Jürgen Hürrig wirft sich mit virtuoser Hemmungslosigkeit, aber zuwenig böser Schärfe in die Komik des Zirkusdirektors, Tom Quaas gibt Tolstois Sohn als hilflosen Opportunisten im Lebenskampf.

Am folgenden Abend hatte dann im Großen Haus Hasko Webers Inszenierung von „Hamlet“/ „Hamletmaschine“ Premiere: als Kommentar oder Ergänzung zu Dorsts Stück unter dem gemeinsamen Projekttitel „Die Zeit ist aus den Fugen – Was sollen wir tun“. Auch hier sind alle Fragen schon am Anfang beantwortet. Denn zuerst wird Heiner Müllers „Hamletmaschine“ gespielt, der Abgesang der Utopien und – „Ich war Hamlet“ – die Selbstauflösung des Helden. Das Scheitern wird vorausgesetzt und vorgeführt.

Junge Leute sprechen vor einem Vorhang im (teils chorischen) Wechsel Müllers Text aus nachrevolutionärer Zeit, und Bilder von blutigen Opfern und vom Rhythmus der Maschinen flimmern auf dem Vorhang. Ein fulminanter Beginn wie ein Schlag in die Magengrube. Dann reißt die von Ursula Müller gestaltete und bis auf ein rotes Fahnensegel leere Bühne bis zur weißen Brandmauer auf: für Shakespeare. Schlagwerkzeug treibt das Spiel der heutig gekleideten Darsteller mit heftigem Rhythmus immer wieder an. Die Monologe von Hamlet spricht dieser meist in oder neben einer Lichtschneise, nicht als Fragen, sondern eher als deutlichen Denkprozeß.

Der beeindruckende Lutz Salzmann spielt einen kräftigen Hamlet: Er empfindet das Unrecht sehr tief und bewußt, weiß aber nicht so recht, wie er mit diesem Gefühl umgehen soll. Sebastian Kowski ist ein machtbewußter, Zigarillos rauchender, kahlköpfiger König Claudius: ein Machtmensch als Widerpart. Alle Figuren bekommen in Webers prägnanter Inszenierung kräftige Konturen. Polonius ist in Albrecht Goettes Darstellung endlich einmal nicht nur ein Hampelmann, sondern ein äußerst handlungssicherer Politiker. Eine Inszenierung mit klaren Figuren und Situationen, die ihren Schwung nach der Pause aber leider verliert. Dennoch: spannendes Theater mit Shakespeare. Hartmut Krug

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